Rufbereitschaft oder Bereitschaftsdienst? Das gilt für sog. Hintergrunddienste nach § 9 TV Ärzte TdL

(Chef-)Ärztinnen und -Ärzte in Krankenhäusern leisten regelmäßig Dienste auch außerhalb der arbeitsvertraglich geregelten Arbeitszeiten. Mit der Frage, wie diese Dienste zu vergüten sind, beschäftigen sich regelmäßig die Arbeitsgerichte.

© Adobe Stock
© Adobe Stock

Wenn ein angestellter Oberarzt, für dessen Arbeitsverhältnis der Tarifvertrag Ärzte (TV-Ärzte) der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) gilt, sog. ärztlichen Hintergrunddienst leistet, ist dieser als Rufbereitschaft und nicht als Bereitschaftsdienst zu vergüten (Bundesarbeitsgericht [BAG], Urteil vom 25.03.2021, Az. 6 AZR 264/20). 

Hintergrund: Bereitschaftsdienst vs. Rufbereitschaft

Die Rufbereitschaft unterscheidet sich vom Bereitschaftsdienst i. d. R. dadurch, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer keinen bestimmten Aufenthaltsort vorgibt. Gleichwohl muss der Arbeitgeber in der Lage sein, auf Abruf (z. B. telefonisch oder via Pieper) die Arbeit aufzunehmen. Rufbereitschaft wird i. d. R. geringer vergütet als Bereitschaftsdienst.

Sachverhalt

Im vor dem BAG entschiedenen Fall hatte ein Oberarzt versucht, eine Vergütungsnachforderung i. H. v. rund 40.000 Euro geltend zu machen. Streitig war, ob der vom Oberarzt abgeleistete sog. Hintergrunddienst nach § 9 des TV-Ärzte als Bereitschaftsdienst oder Rufbereitschaft einzuordnen war. Bereitschaftsdienst wäre hier höher zu vergüten gewesen. Der Oberarzt war während seines Hintergrunddienstes verpflichtet, telefonisch erreichbar zu sein. Allerdings hatte er keine Vorgaben hinsichtlich seines Aufenthaltsorts oder der Zeitspanne, in der er seine Arbeit im Klinikum aufzunehmen hatte. Bei diesem Hintergrunddienst konnte es sowohl zu Einsätzen des Oberarztes im Klinikum als auch zu rein telefonischen Inanspruchnahmen kommen. Weiterhin musste der Oberarzt während des Hintergrunddienstes einen Aktenordner mitführen, um Transplantationsangebote der Stiftung Eurotransplant innerhalb von 30 Minuten bearbeiten zu können. Insgesamt leistete der Oberarzt in nur 4 Prozent aller Rufbereitschaftsstunden tatsächliche Arbeit.

Während die Vorinstanz (Landesarbeitsgericht [LAG] Köln, Urteil vom 04.03.2020, Az. 3 Sa 218/19) noch zugunsten des Oberarztes urteilte, stufte das BAG die Tätigkeit des Oberarztes als Rufbereitschaft ein und wies die Klage ab.

Entscheidungsgründe

Das Gericht war der Ansicht, dass hier nationales Recht und nicht die Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG anwendbar sei. Bei der Abgrenzung der Rufbereitschaft zum Bereitschaftsdienst komme es auf den Umfang der vom Arbeitgeber angeordneten Aufenthaltsbeschränkung an. Wenn der Arbeitnehmer seinen Aufenthaltsort frei wählen dürfe, liege eine Rufbereitschaft vor.

Im vorliegenden Fall habe der Arbeitgeber dem Oberarzt im Rahmen seines Hintergrunddienstes keine Vorgaben gemacht, wo er sich aufhalten müsse. Es schade dabei nicht, dass der Oberarzt wegen seiner Verpflichtung, die Arbeit möglicherweise zeitnah aufnehmen zu können, in der Wahl seines Aufenthaltsortes nicht völlig frei gewesen sei. Dass der Oberarzt möglicherweise zeitnah seinen Dienst in der Klinik habe antreten müssen, stehe im Einklang mit dem Wesen der Rufbereitschaft.

Dennoch sei die Anordnung des streitigen Hintergrunddienstes rechtswidrig gewesen. Die Vorgaben des § 7 Abs. 6 S. 2 TV-Ärzte/TdL seien hier nicht eingehalten worden. Demnach dürfe der Arbeitgeber Rufbereitschaft nur anordnen, wenn lediglich in Ausnahmefällen Arbeit anfalle. Gegen diese Vorgabe werde hier verstoßen, da der Oberarzt in etwa der Hälfte der Hintergrunddienste zur Arbeit herangezogen worden sei. Ferner habe er in mehr als einem Viertel der Rufbereitschaften seine Arbeitseinsätze in der Klinik fortsetzen müssen.

Diese rechtswidrige Anordnung von Hintergrunddiensten führe ‒ so das BAG ‒ dennoch nicht zu der eingeklagten höheren Vergütung. Dazu führten die Richter aus: „Ein bestimmter Arbeitsleistungsanteil ist nach dem Tarifvertrag weder dem Bereitschaftsdienst noch der Rufbereitschaft begriffsimmanent. Die Tarifvertragsparteien haben damit bewusst für den Fall einer tarifwidrigen Anordnung von Rufbereitschaft keinen höheren Vergütungsanspruch vorgesehen. Diesen Willen hat der Senat respektiert.“

Handlungsempfehlung für betroffene (Chef-)Ärzte

Das BAG hat in seinem Urteil ausgeführt, dass das wesentliche Unterscheidungskriterium eine Vorgabe bzgl. des Aufenthaltsorts des Arbeitnehmers darstellt. Daher sollte der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer keine Weisungen bezgl. des Aufenthaltsorts beim Ableisten des Hintergrunddienstes erteilen. Diese Weisungen dürfen auch nicht mündlich erteilt werden. Nur dann liegt eine Rufbereitschaft vor.

Die Anordnung des Hintergrunddienstes bei einem tatsächlichen Arbeitsanfall von 4 Prozent der gesamten im Hintergrunddienst geleisteten Arbeitsstunden hat das BAG als rechtswidrig beurteilt. Wenn ein Chefarzt also künftig Hintergrunddienst anordnet, der dieser Entscheidung nicht entspricht, kann der Arbeitnehmer diese Weisung mit einer Feststellungsklage vor dem Arbeitsgericht angreifen. Das zuständige Arbeitsgericht prüft dann, ob die Vorgaben des Bundesarbeitsgerichts zur Anordnung des Hintergrunddienstes in diesem Einzelfall eingehalten wurden. Wenn das Arbeitsgericht zu dem Schluss gelangt, dass der Hintergrunddienst nicht angeordnet werden durfte, muss der Arbeitnehmer diese Rufbereitschaft im Hintergrunddienst künftig auch nicht mehr ableisten. Dem Arbeitgeber bleibt dann nur noch die Möglichkeit, den höher zu vergütenden Bereitschaftsdienst anzuordnen.

RA Dr. Matthias Losert, Berlin