Schläfenkopfschmerzen und Sehstörungen bei Riesenzellarteriitis: Gefäßsonografie verhindert Erblindung

In wenigen Tagen das Augenlicht zu verlieren – dieser Albtraum kann für Patienten mit einer Riesenzellarteriitis Wirklichkeit werden. Bei der Erkrankung sind typischerweise Blutgefäße im Schläfenbereich entzündet. Aber auch die Augenarterien sind betroffen, wodurch in vielen Fällen die Netzhaut nicht mehr ausreichend mit Blut versorgt wird und eine Erblindung drohen kann. Prof. Dr. Wolfgang Hartung über die Rolle des Ultraschalls in der Diagnostik der Riesenzellarteriitis.

© Prof. Dr. Wolfgang Hartung / DEGUM
© Prof. Dr. Wolfgang Hartung / DEGUM

Vaskulitis mit Befall der Schläfenarterien und der Augenarterie

Die Rheumatologie befasst sich überwiegend mit chronisch entzündlichen Erkrankungen der Bewegungsorgane und des Bindegewebes. Im rheumatologischen Fachgebiet gibt es nur wenige echte Notfälle, die ein sofortiges Handeln erfordern. Einen solchen Notfall stellt die sogenannte Vaskulitis der großen Gefäße, auch Riesenzellarteriitis genannt, mit Befall der Schläfenarterien und der Augenarterie (Arteria ophthalmica) dar (1). Da sehr häufig die Schläfenarterien betroffen sind, spricht man auch von der Arteriitis temporalis. 

Farbkodierte Doppler Sonographie: Deutliche entzündliche Wandschwellung der Temporalarterie mit hochgradiger Stenosierung des Gefäßlumens  © Prof. Dr. Wolfgang Hartung / DEGUM

Power Doppler Sonographie: Echoarme Wandschwellung als Zeichen der Arteriitis temporalis    © Prof. Dr. Wolfgang Hartung / DEGUM

 

Schläfenkopfschmerz, Kauschmerzen, Sehstörungen & plötzlicher Sehverlust

Die Riesenzellarteriitis (RZA) ist mit einer anderen rheumatischen Erkrankung, der Polymyalgia rheumatica (PMR), „verwandt“. Beide Erkrankungen können für sich allein vorkommen, treten jedoch nicht selten gemeinsam oder überlappend auf (2). Die beiden Erkrankungen treten praktisch nie vor dem 50. Lebensjahr auf, wobei die Prävalenz der PMR bei etwa ein bis zwei pro 1000 liegt. Die Polymyalgia rheumatica ist durch ausgeprägte Muskelschmerzen im Schulter- und Beckengürtelbereich gekennzeichnet, die von deutlich erhöhten Entzündungsparametern und Allgemeinsymptomen begleitet sind. Zehn bis 20 Prozent der PMR-Patienten haben oder entwickeln auch eine Riesenzellarteriitis (3). Andererseits haben 40 bis 60 Prozent der Patienten, die an einer Riesenzellarteriitis erkrankt sind, auch typische Polymyalgie-Symptome. Typische Symptome der Arteriitis temporalis, die jeder Arzt erkennen muss, sind der neu aufgetretene Schläfenkopfschmerz, Kauschmerzen und Sehstörungen wie „verschwommenes Sehen“, plötzlicher Sehverlust und eventuell auch Doppelbilder (1). 20 bis 50 Prozent der Patienten mit Riesenzellarteriitis weisen eine visuelle Symptomatik auf.

Ultraschalluntersuchung kann Erblindung verhindern

Wenn ein Patient die genannten Symptome zeigt, muss unverzüglich die Diagnose gesichert und eine entsprechende Therapie – eine hochdosierte Kortisonbehandlung – eingeleitet werden, da andernfalls die Erblindung droht. 2018 wurden internationale Empfehlungen für die bildgebende Diagnostik der RZA veröffentlicht (4). Der Ultraschall der Temporalarterien und der Axillararterien wird als erstes bildgebendes Verfahren genannt. Die Ultraschalluntersuchung kann sofort, noch während der klinischen Untersuchung, durchgeführt werden und zeigt eine hohe Sensitivität und Spezifität (5). Typische Zeichen der entzündeten Gefäßwand sind eine echoarme Wandschwellung, das sogenannte Halo-Zeichen, das weltweit erstmals von Prof. Dr. Wolfgang Schmidt aus Berlin bereits 1997 publiziert wurde (6), sowie eine fehlende Komprimierbarkeit der Arterie (7). Falls diese Befunde vorliegen, kann heutzutage auf eine belastende Biopsie verzichtet werden. 

Power Doppler Ultraschall: Zum Vergleich normale Arteria temporalis mit zarter Intima Media und normaler Perfusion. © Prof. Dr. Wolfgang Hartung / DEGUM 
Power Doppler Sonographie: Erhebliche echoarme Wandschwellung der Axillararterie bei einer Patientin mit Riesenzellarteriitis© Prof. Dr. Wolfgang Hartung / DEGUM

Therapie muss sofort eingeleitet werden

Von entscheidender Wichtigkeit ist, dass die Therapie bei Verdacht auf eine Arteriitis temporalis sofort eingeleitet werden muss, gegebenenfalls auch noch vor der Sicherung der Diagnose durch bildgebende Verfahren, um ein Fortschreiten der Entzündung und eine eventuelle Erblindung zu verhindern (8).  In vielen rheumatologischen Abteilungen gibt es bereits die Möglichkeit, den Patienten mit Verdacht auf eine Arteriitis temporalis unverzüglich zu einer Ultraschalluntersuchung vorzustellen. Mit der Einführung solcher „Fast-Track-Clinics“ nahm die Inzidenz von permanenten Erblindungen deutlich ab (9).

Text und Abbildungen:
Prof. Dr. med. Wolfgang Hartung

Leitender Oberarzt Klinik und Poliklinik für Rheumatologie / Klinische Immunologie am Asklepios Klinikum Bad Abbach und Leiter des DEGUM-Arbeitskreises Bewegungsorgane

 

Über die DEGUM 
Die Deutsche Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (DEGUM) bietet ein Forum für den wissenschaftlichen und praktischen Erfahrungsaustausch auf dem Gebiet des medizinischen Ultraschalls. Sie vereint rund 11 000 Ärzte verschiedener Fachgebiete, medizinische Assistenten, Naturwissenschaftler und Techniker.

Quelle: DEGUM

Literatur:

1. Vodopivec I, Rizzo JF, 3rd. Ophthalmic manifestations of giant cell arteritis. Rheumatology (Oxford). 2018;57(suppl_2):ii63-ii72.
2. Muratore F, Pazzola G, Pipitone N, Boiardi L, Salvarani C. Large-vessel involvement in giant cell arteritis and polymyalgia rheumatica. Clin Exp Rheumatol. 2014;32(3 Suppl 82):S106-11.
3. Salvarani C, Cantini F, Hunder GG. Polymyalgia rheumatica and giant-cell arteritis. Lancet. 2008;372(9634):234-45.
4. Dejaco C, Ramiro S, Duftner C, Besson FL, Bley TA, Blockmans D, et al. EULAR recommendations for the use of imaging in large vessel vasculitis in clinical practice. Ann Rheum Dis. 2018;77(5):636-43.
5. Duftner C, Dejaco C, Sepriano A, Falzon L, Schmidt WA, Ramiro S. Imaging in diagnosis, outcome prediction and monitoring of large vessel vasculitis: a systematic literature review and meta-analysis informing the EULAR recommendations. RMD Open. 2018;4(1):e000612.
6. Schmidt WA, Kraft HE, Vorpahl K, Volker L, Gromnica-Ihle EJ. Color duplex ultrasonography in the diagnosis of temporal arteritis. N Engl J Med. 1997;337(19):1336-42.
7. Aschwanden M, Daikeler T, Kesten F, Baldi T, Benz D, Tyndall A, et al. Temporal artery compression sign – a novel ultrasound finding for the diagnosis of giant cell arteritis. Ultraschall Med. 2013;34(1):47-50.
8. Schmidt WA, Hartung W. [Imaging diagnostics in large vessel vasculitis]. Z Rheumatol. 2019;78(9):847-58.
9. Diamantopoulos AP, Haugeberg G, Lindland A, Myklebust G. The fast-track ultrasound clinic for early diagnosis of giant cell arteritis significantly reduces permanent visual impairment: towards a more effective strategy to improve clinical outcome in giant cell arteritis? Rheumatology (Oxford). 2016;55(1):66-70.