MIGS – Der aktuelle Stand

Mikroinvasive Verfahren haben die Glaukom-Behandlung revolutioniert. Zumindest was die milden und die moderaten Fälle betrifft. Ein Überblick über den aktuellen Stand der Dinge – von Klassikern wie dem iStent bis zum neuen Beacon Aqueous Microshunt mit externer Drainage des Kammerwassers direkt auf die Augenoberfläche.

© EYEFOX
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Schnellere, sicherere und schonendere Operationen, kürzere Heilungszeiten mit weniger Beschwerden – das versprechen die neuen MIGS-Verfahren. Ihre drucksenkenden Eigenschaften sind zwar meist weniger ausgeprägt als bei einer klassischen Trabekulektomie. Und zu manchen Verfahren liegen noch keine Langzeitstudien vor. Doch mikroinvasive Glaukomchirurgie kann den Zeitraum zwischen maximal sinnvoller medikamentöser Therapie und invasiveren Operationen signifikant verlängern. Aufgrund ihres deutlich reduzierten postoperativen Komplikationsprofils sind die MIGS-Verfahren in Kombination mit einer Phakoemulsifikation und Implantation einer Intraokularlinse (PE/IOL) gut geeignet.

Die bisherigen MIGS-Verfahren lassen sich in drei Kategorien unterteilen: 

Trabekuläre Microstents setzen am Schlemm'schen Kanal an und verbessern den trabekulären Abfluss. Sie senken den Augeninnendruck (IOD) moderat.

Filtrierende Gel-Stents verbessern den subkonjunktivalen Abfluss. Sie sind für Patienten mit weiter fortgeschrittenem Glaukom konzipiert sowie Patienten mit höheren Ausgangsdruckwerten, bei denen ein niedrigerer Zieldruck erreicht werden soll.

Suprachoroidale Stents verbessern den uveoskleralen Abfluss und haben wahrscheinlich ein höheres drucksenkendes Potenzial. 

Neu dazugekommen ist ein viertes Verfahren mit externer Drainage des Kammerwassers direkt in den Tränenfilm.

TRABEKULÄRE MICROSTENTS

iStent, iStent inject, iStent inject W (Glaukos)
Der iStent ist ein 1 mm langes, L-förmiges Implantat aus heparinbeschichtetem Titan. Bei den beiden neueren Generationen – iStent inject und iStent inject W – wurde das Design komplett verändert. Hier handelt es sich um 0,36 mm große, an Pfeilspitzen erinnernde Devices. Sie zählen zu den derzeit kleinsten medizinischen Implantaten beim Menschen. Das neue Design ermöglicht eine einfachere Implantation von bis zu 2 Stents über einen Injektor. Beim iStent inject W wurde die Basisplatte leicht vergrößert, um die Implantate präziser positionieren zu können.
Zu den möglichen Komplikationen zählten Hyphaema und Augendruckschwankungen, schwerwiegende Komplikationen sind äußerst selten.
Eine 2019 durchgeführte Meta-Analyse mit Daten von 675 Patienten und einer Nachbeobachtungsdauer von bis zu fünf Jahren sowie weitere Langzeitstudien zeigen, dass die iStent- oder iStent-inject-Implantation zu einer nachhaltigen Drucksenkung und einer geringeren Medikamentenbelastung führen. 
Auf der diesjährigen DOG wurde eine Studie zur Implantation von zwei iStent-inject mit gleichzeitiger Kataraktoperation vorgestellt. Ihr Ergebnis: eine anhaltende Senkung des IOD bis zu 4 Jahre postoperativ, keine signifikanten intra- oder postoperativen Komplikationen.

Hydrus Microstent (Ivantis)
Der 8 mm lange, hochflexible Hydrus Microstent besteht aus Nitinol. Dieses biokompatible Material wird auch für kardiovaskuläre Stents verwendet. Der Hydrus Microstent dehnt und fenstert den Schlemm’schen Kanal, an dessen Kurvatur er mit seiner leicht gebogenen Form angepasst ist. 
Als mögliche Komplikationen werden Hyphäma genannt.
In der prospektiven, randomisierten Horizon Studie ergab sich eine 20%-ige Druckreduktion nach 24 Monaten bei 70 % der Patienten, 78 % waren medikamentenfrei. Die 5-Jahres-Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Ergebnisse stabil sind. Es trat kein Endothelzellverlust auf, auch nicht bei kombinierter Katarakt-Operation.

Kanaloplastik ab interno 
Eine Alternative ohne Implantat ist die Kanaloplastik ab interno, etwas mit dem Visco-360-System (OMNI Surgical System, Sight Sciences). Dabei wird der Schlemm’sche Kanal durch das Trabekelmaschenwerk von der Vorderkammer aus eröffnet und sondiert. Das Gerät besteht aus einem Handstück mit gebogener, metallischer Hohlnadel und einem Kunststoffkatheter, mit dem Viskoelastikum injiziert wird. Bei der Dilatation wird der Schlemm’sche Kanal um das 2-3-fache aufgedehnt. 
Es treten nur minimale Komplikationen auf.
Zusätzlich zu einer Drucksenkung von etwa 7 mmHg (32 %) im ersten Jahr und 6 mmHg (27%) im zweiten Jahr ergab sich eine Reduktion der Medikation von etwa 2,1 auf 0,5 Wirkstoffe pro Auge, so eine Studie.
Auch die Kanaloplastik ab interno mit dem iTrack 250-Mikron-Mikrokatheter (Ellex) ist laut einer Studie einfach in der Durchführung und bringt nur minimale Komplikationen mit sich. Erste Ergebnisse weisen darauf hin, dass sie den IOP und die Medikation vergleichbar zur konventionellen Kanaloplastik senkt.

FILTRIERENDE GEL-STENTS

XEN-Gel-Implantat (Allergan)
Das hochelastische XEN-Gel-Implantat ermöglicht die Drainage von Kammerwasser unter die Bindehaut. Über eine korneale Inzision verbindet das 6 mm lange Gelatineröhrchen transskleral die Vorderkammer mit dem subkonjunktivalen Raum. Durch den Gel-Stent wird zusätzlich Kammerwasser aus der Vorderkammer abgeleitet und über ein Filterkissen in den Blutkreislauf filtriert, um den Gesamtabflusswiderstand zu senken. Es gibt 3 Typen mit verschiedenen Innendurchmessern: 140 μm (Xen140), 63 μm (Xen63) und 45 μm (Xen45).
In der APEX Studie wurde XEN45 mit XEN45 plus Phako verglichen. In der 2-Jahres-Studie wird von einer Drucksenkung auf ca. 15 mmHg berichtet, die Kombination mit Phako hatte keinen Einfluss auf den Outcome. Ca. 50% der Patienten hatten einen Augeninnendruck unter 13 mmHg, ca. 45% waren medikamentenfrei. Es traten keine signifikanten Verluste bei den Endothelzellen auf. Eine 4-Jahres-Studie ermittelte für den XEN63 geringere Druckwerte und einen geringeren Bedarf an Medikamenten als beim XEN 45.

Preserflo Microshunt 
Im strengen Sinne ist der Preserflo Microshunt kein MIGS-Verfahren, da ab externo. Das 8,5 mm lange Röhrchen besteht aus SIBS, einem biokompatiblen, weichen Kunststoffmaterial, das seit 1999 auch für Medikamente freisetzende Koronar-Stents verwendet wird. SIBS ist weniger inflammatorisch und fibrosierend als Silikon oder Polypropylene. Nach dem Eröffnen der Bindehaut wird das Implantat von außen in den Schlemm‘schen Kanal eingeführt. Dort wird das überschüssige Kammerwasser unter die Bindehaut abgeleitet.

SUPRACHOROIDALE STENTS

Mit neuen Verfahren soll der suprachoroidale Abflussweg nicht nur medikamentös, sondern auch chirurgisch therapeutisch nutzbar gemacht werden. Materialien mit verbesserter Biokompatibilität könnten das Potential haben, Funktionsverluste der Implantate durch fibrosierende Prozesse zu minimieren. 
Momentan sind in Deutschland keine suprachoroidalen Stents kommerziell verfügbar.

CyPass Micro-Stent: Alcon
Der gefensterte, röhrenförmige Mikrostent aus biokompatiblem Polyimid wurde 2018 vom Hersteller freiwillig vom Markt genommen. In einer Verlaufsstudie fiel auf, dass bei einer bestimmten Patientengruppe ein signifikanter Verlust an Endothelzellen auftrat. 
Dieser Fall unterstreicht die Bedeutung einer langfristigen Nachbeobachtung der Wirkungen dieser Devices.

iStent supra (Glaukos)
Der iStent supra ist ein 4 mm langes Röhrchen aus Polyethersulfon (PES) und Titan, das mit einem mit Injektor implantiert wird. Eine Roadmap zur Zulassung fehlt bislang. Studien zum Thema Endothelzellverlust sind noch nicht abgeschlossen.

MINIject Microstent (iStar medical)
Beim MINIject Microstent handelt es sich um eine weiche, schwammartige Silikonmatrix mit Wabenstruktur, die mit einem mit Injektor implantiert wird. Das Material soll Fibrosierung und Abkapselung verhindern. Erste Studie berichten von effektiver Drucksenkung und Medikamentenreduktion ohne signifikanten Endothelzellverlust bei geringen Komplikationen. Der MINIject ist noch nicht von der FDA zugelassen.

ENTWICKLUNGEN IN DER PIPELINE

Beacon Aqueous Microshunt
Der Beacon Aqueous ist ein Mikroshunt mit externer Drainage des Kammerwassers direkt nach außen auf die Augenoberfläche. Er wird in die Hornhaut implantiert. Das pfeilförmige, 3,05 mm lange Implantat besteht aus Polyurethan, der Kanal ist mit Polyethylenglykol beschichtet. Die hydrophile Oberfläche vermindert Biokorrosion sowie die Ablagerung von Proteinen und Bakterien. Das schnelle und einfache Einsetzen erfolgt in Tropfanästhesie.
Auf der diesjährigen DOG wurden die 1-Jahresergebnisse einer Studie vorgestellt. Sie zeigen eine deutliche Senkung des IOD und eine Reduktion der Medikation, sowie eine Verbesserung des Tränenfilms. In der postoperativen Phase gab es keine Infektionen und keine Hypotonie. 

Implantierbare Release-Systeme
Im März 2020 hat die FDA das erste SR-IOD-senkende Implantat, Bimatoprost SR (Durysta, Allergan), zugelassen. Das stäbchenförmige Implantat wird in die Vorderkammer injiziert, wo der Wirkstoff freigesetzt wird und sich der Medikamententräger biologisch abbaut. Es ist seit 2020 in den USA zur einmaligen Anwendung zugelassen, in Europa laufen Phase-III-Studien. Ca. 75 % der Patienten waren nach einem Jahr medikamentenfrei.
Beim iDose-System (Glaukos) handelt es sich um einen 1,8 x 0,5 mm großen Titanstent mit Wirkstoffreservoir, der im Kammerwinkel verankert wird. Über eine Membran wird Travatoprost über zumindest zwölf Monate abgegeben. Die Phase-II-Studie berichtet von einer über zwölf Monate konstanten IOD-Senkung, die einer einmal täglich applizierten topischen Travoprost-Therapie entspricht. Die Rekrutierung für die Phase-III-Studien wurde im Juni 2021 abgeschlossen.