Neues Transplantationssystem für die Behandlung hornhautblinder Patienten von Augenklinik Sulzbach, Geuder AG und DGFG präsentiert

Eine medizinische Innovation aus Deutschland macht ab sofort die Behandlung hornhautblinder Patienten einfacher und sicherer: Preloaded DMEK RAPID®, das Europaweit erste vorgeladene Transplantationssystem für die minimal-invasive Behandlung der Hornhauttrübung.

©Augenklinik Sulzbach/Knappschaftsklinikum Saar
©Augenklinik Sulzbach/Knappschaftsklinikum Saar

Sulzbach/Saar, 09.09.2021. Ein vorpräpariertes Transplantat ergibt zusammen mit einer patentierten Injektionskartusche ein gebrauchsfertiges System für die minimal-invasive Teiltransplantation der Augenhornhaut (DMEK). Das System erlaubt zudem das berührungsfreie Einpflanzen des Gewebes. „Das System vereint erstmals in der Geschichte der Medizin menschliches Augengewebe mit einem Medizinprodukt“, erklärt Prof. Dr. Peter Szurman, Chefarzt der Augenklinik Sulzbach. 

Preloaded DMEK RAPID wurde am KHERI-Forschungsinstitut der Augenklinik Sulzbach am Knappschaftsklinikum Saar unter Leitung von Chefarzt Prof. Dr. Peter Szurman in Zusammenarbeit mit dem Medizintechnikunternehmen Geuder und der Deutschen Gesellschaft für Gewebetransplantation (DGFG) entwickelt. Die Spenderhornhaut, realisiert von Koordinatoren der DGFG an 30 Standorten in ganz Deutschland, wird in der Knappschaftsgewebebank Sulzbach und in der Gewebebank der DGFG in Hannover mit eigens entwickelter, besonders gewebeschonender Technik präpariert.

 Die Genehmigung des Paul-Ehrlich Instituts (PEI) liegt der DGFG bereits vor. Das vorgeladene Transplantationssystem kann ab sofort über die gemeinnützige Gesellschaft bezogen werden. „Die regulatorische Zulassung war eine große Herausforderung“, so Peter Szurman. „Denn hierfür gelten sowohl das Arzneimittel- als auch das Medizinproduktegesetz.“ In Italien und den Niederlanden sei der Zulassungsprozess ebenfalls weit fortgeschritten. Transplantationschirurgen können sich beim Sulzbacher DMEK-Intensivkurs für den Bezug des Systems schulen und zertifizieren lassen. Die Kombination aus einfacher Anwendung, geprüfter Qualität und Sicherheit soll die stärkere Verbreitung der DMEK-Transplantation ermöglichen, damit in Zukunft mehr Patienten von diesem fortschrittlichen Verfahren profitieren und ihre volle Sehkraft wiedererlangen können. So wie Andreas Umlauf, ein Patient aus dem Raum Stuttgart, der in Sulzbach kürzlich operiert wurde. „Der Eingriff selbst dauerte vielleicht zehn Minuten und war vollkommen schmerzfrei“, erzählt er. Die Sehkraft kehrte innerhalb weniger Wochen wieder zurück. „Das Schlimmste an der ganzen Sache war die Wartezeit von der Diagnose bis zur OP“, erinnert er sich. 13 Monate dauerte es, bis die passende Spenderhornhaut da war. Bei aller Innovation stellt die Verfügbarkeit des Spendergewebes den limitierenden Faktor dar. 

An dieser Stelle ist das Engagement der Kliniken und der Bevölkerung selbst gefragt: Damit die DGFG Patienten mit Spenderhornhäuten versorgen kann, bedarf es mehr Meldungen potentieller Gewebespender. Der aktuelle Mangel sorgt oft für eine lange Zeit des Wartens und des Leidens der Patienten bis zur rettenden OP. Das muss nicht sein. 

 

Prof. Dr. Peter Szurman, Foto ©Augenklinik Sulzbach DMEK RAPID im Reinraum beim Beladen, Foto ©Augenklinik Sulzbach

Worum geht es? 

Die Augenhornhaut ist das Fenster zur Welt. Trübt sie sich ein oder wird zerstört, drohen dauerhafte Sehbehinderungen bis hin zur Blindheit. Dann kann nur noch eine HornhautTransplantation helfen. Früher war nur eine aufwändige Volltransplantation möglich. Doch in den letzten Jahren wurde diese weitgehend von deutlich schonenderen Teiltransplantationen abgelöst. Sogenannte lamelläre, nahtlose Techniken, bei denen nur eine hauchdünne Gewebelamelle verpflanzt wird, sind heute das Nonplusultra. Hier sind die Sehergebnisse besser, der Heilverlauf ist kürzer und die Abstoßungsrate geringer. Hier hat sich die DMEK (Deszemetmembran endotheliale Keratoplastik) innerhalb weniger Jahre zum Goldstandard in der Behandlung von endothelialen Hornhauterkrankungen etabliert (endothelial = die innere Zellschicht betreffend). Die DMEK ist für alle Patienten geeignet, die an einer Augenhornhauterkrankung mit Endothelversagen leiden. 

Forschungsstandort Sulzbach als Vorreiter der DMEK 

Die Augenklinik Sulzbach hat sich als eine der ersten Kliniken in Europa auf die DMEK spezialisiert. Am Klaus Heimann Eye Research Institute (KHERI) der Augenklinik Sulzbach beschäftigt sich eine Forschergruppe im eigenem Reinraum-Labor mit der Weiterentwicklung dieses noch jungen Verfahrens und hat die Entwicklung der DMEK zu einer standardisierten Operation mitgeprägt: 

Heute ist die Klinik eines der führenden Transplantationszentren in Deutschland und führt die DMEK ca. 500-mal im Jahr durch. Die Patienten kommen aus ganz Deutschland, teilweise aus Europa. In spezialisierten Zentren ist die DMEK-Transplantation ein täglicher Routine-Eingriff geworden.

Doch längst ist diese Methode noch nicht überall verfügbar. Das neue Sulzbacher System soll dies nun ändern: Erstmals in Europa wird eine vorgeladene Injektionskartusche zur direkten, berührungslosen Transplantation gebrauchsfertiger Lamellen zur Verfügung gestellt. Durch den hohen Standardisierungsgrad dieses „readyto-use“ Systems wird die Verbreitung dieser hochmodernen OP-Methode erleichtert. 

Welches Problem soll gelöst werden? 

Während die Technik der DMEK-Implantation von erfahrenen Transplantations-Chirurgen relativ rasch erlernt wird, liegt die größte Schwierigkeit in der Präparation der Hornhautlamelle. „Deshalb präparieren immer mehr Transplantationszentren nicht mehr selber im eigenen OP, sondern beziehen über die DGFG fertig vorpräparierte Lamellen (Precut LaMEK) aus spezialisierten Gewebebanken, um die Sicherheit und Qualität der Transplantate zu verbessern.“, erklärt Peter Szurman. „Der Vorteil: Der Operateur erhält ein qualitätskontrolliertes und gebrauchsfertiges Transplantat. Es ist keine weitere, zu Zellverlust führende Manipulation am Spendergewebe vor der Transplantation mehr nötig. Die gesamte Präparation wird unter standardisierten Bedingungen in unserer Reinraum-Gewebebank Sulzbach durchgeführt. Erst, wenn überprüft wurde, dass die Zellen auch nach der Präparation immer noch in einem guten Zustand sind, wird die Lamelle von der DGFG zur Transplantation abgegeben.“ 

Dieser Qualitätsvorteil war bereits der Kerngedanke bei der seit sechs Jahren sehr erfolgreich etablierten LaMEK, dem in der Gewebebank vorpräparierten und fertig zugeschnittenen Gewebe (pre-cut), das die DGFG als einzige Einrichtung in Deutschland mit Genehmigung des Paul-Ehrlich-Instituts seit 2015 für DMEK-OPs erfolgreich mit jährlich steigenden Zahlen vermittelt. 

Die an der Augenklinik Sulzbach durchgeführte Zulassungsstudie zur LaMEK konnte zeigen, dass die Sicherheit bei Verwendung von solchen vorpräparierten Lamellen steigt. In Deutschland haben bisher mit Sulzbach und Hannover nur zwei Gewebebanken die Genehmigung durch das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) zur Herstellung und Inverkehrbringung von vorpräparierten Lamellen. 

Was das neue Preloaded DMEK RAPID System bringt 

Das neue Sulzbacher Transplantationssystem Preloaded DMEK RAPID stellt nun den nächsten, konsequenten Entwicklungsschritt der LaMEK dar: Hier wird dem Operateur eine bereits vorpräparierte und gebrauchsfertig vorgeladene Lamelle in einem „ready-to-use“ System („DMEK-RAPID-Kartusche“) bereitgestellt. Dieses am KHERI-Forschungsinstitut der Augenklinik Sulzbach in Kooperation mit der Geuder AG und der DGFG entwickelte, patentierte System hat zum Ziel, die DMEK-Operationen vorhersehbarer, einfacher, sicherer und schneller zu machen. 

Dabei wird die DMEK-Lamelle mit einer speziell entwickelten Technik (Liquid Bubble) in der Gewebebank Sulzbach vorab präpariert, aber zusätzlich noch in ein spezielles Injektorsystem geladen (DMEK RAPID®). Die Lamellen kommen bereits in einer Injektorkartusche vorgeladen und gebrauchsfertig an, und ermöglichen dem Operateur eine direkte berührungslose Injektion des Transplantats. Es sind keine weiteren Manipulationsschritte mehr nötig. Die Lamelle wird in einem geschlossenen System angeliefert, was einen großen Qualitätsvorteil mit sich bringt. 

Die Zulassungsstudie zur neuen preloaded DMEK RAPID (ebenfalls an der Augenklinik Sulzbach durchgeführt) konnte zeigen, dass der Transport und die Injektion mit diesem geschlossenen Transplantationssystem sicher sind. 

Dr. Nicola Hofmann, wissenschaftliche Leiterin bei der DGFG, erwähnt noch einen weiteren Vorteil: „Weitere Studienergebnisse haben gezeigt, dass eine Ruhephase zwischen Präparation der Hornhautlamelle und Transplantation im OP sogar zu höherer Vitalität der Endothelzellen führt.“ Somit wäre das Vorpräparieren ebenso wie das Vorladen der Kartusche in der Gewebebank sogar ein weiterer Qualitätsvorteil, weil sich das Präparat in der Zeit bis zur OP etwas erholen kann. 

Sicherheit und Ethik im Vordergrund 

Durch Vorpräparation und Vorladen wird das Risiko einer Fehlpräparation und des Transplantatverlusts drastisch reduziert. Peter Szurman: „Die Sicherheit für die Patienten wird durch unser Transplantationssystem eindeutig erhöht. Neben der Sicherheit spielen hier auch ethische Aspekte eine wichtige Rolle. Jede Fehlpräparation ist ethisch schwer zu vertreten, gerade vor dem Hintergrund der großen Spenderknappheit.“ 

Die Besonderheit des DMEK RAPID Systems 

Diese Innovation hat ein Vorbild: „Zwar werden gebrauchsfertig vorgeladene Implantate, also z.B. Kunstlinsen bei der Grauen Star Operation, schon lange in der Augenchirurgie verwendet, weil die Implantation aus einem geschlossenen System heraus eine gleichbleibende Qualität und Keimfreiheit sicherstellt. Gebrauchsfertig vorgeladenes menschliches Gewebe für die Transplantationschirurgie ist dagegen noch kaum bekannt, weil hier lebendes Gewebe mit einem künstlichen Injektorsystem kombiniert werden muss. Damit das vorgeladene Transplantat zwischen der Herstellung und Versand und der Ankunft in der Transplantationsklinik vital bleibt, muss es innerhalb des Injektorsystems kontinuierlich mit einem speziellen Nährmedium umspült werden. Dies ist der Clou des neuen Transplantationssystems. Die DMEK RAPID ist vermutlich das erste vorgeladene lamelläre menschliche Gewebe. 

Fäden laufen in Sulzbach zusammen 

Dass diese Innovation nun ausgerechnet in der kleinen saarländischen Stadt Sulzbach vorgestellt wurde, ist für Insider keine Überraschung. Hier befindet sich nicht nur die international bekannte Augenklinik Sulzbach; hier befinden sich auch die hauseigene Forschungseinrichtung namens Klaus Heymann Eye Research Institut (KHERI) und die Knappschaftsgewebebank Sulzbach. Forschungsschwerpunkt des KHERI ist die Translationale Medizin. Translationale Medizin bedeutet, Erkenntnisse aus dem Grundlagenbereich in konkrete klinische Anwendungen zu übertragen. „Ziel ist die patientennahe Forschung im Bereich der Augenheilkunde, um die Entwicklung neuer Therapien direkt zum Patienten zu bringen und unbeantwortete klinische Probleme zu lösen“, so Szurman. Auch die DGFG ist mit einem Standort am Sulzbacher Klinikum vor Ort: Jennifer Rech realisiert von dort die Gewebespende im Knappschaftsklinikum Sulzbach und der Region. Die Landesregierung hat Sulzbach inzwischen zum Landeshornhauttransplantationszentrum des Saarlandes gekürt. 

Geprüft, zugelassen und verfügbar 

Die LaMEK preloaded samt DMEK-RAPID-Injektorsystem kann über die Vermittlungsstelle der DGFG bestellt werden. Der gesamte Herstellungsprozess samt Präparation des Gewebes und Beladen des Injektors erfolgt unter höchsten Qualitätsstandards im Reinraumlabor der Knappschaftsgewebebank Sulzbach und wird deutschlandweit an Transplantationskliniken ausgeliefert. Parallel erfolgt derzeit die Markteinführung in weiteren Ländern Europas. Neue Transplantationschirurgen erlernen den sicheren Umgang mit der neuen Technik im DMEK-Intensivkurs an der Augenklinik Sulzbach.

Gewebespender gesucht 

Auf dem Weg zum neuen preloaded DMEK-Rapid-System wurden viele Lösungen erdacht und Hürden überwunden. Eine letzte Hürde bleibt: die begrenzte Verfügbarkeit von Spendergewebe. Dabei käme für eine Gewebespende grundsätzlich jeder Verstorbene in Frage: Eine Augenhornhautspende ist bis zu 72 Stunden nach Todeseintritt möglich. Um dem Mangel an Gewebe und den Wissenslücken zu diesem Thema zu begegnen, setzt sich die DGFG seit fast 15 Jahren dafür ein, das Spendenetzwerk auszubauen und Kliniken sowie die Bevölkerung für das Thema Hornhautspende zu sensibilisieren. 

Dazu sagt Martin Börgel, Geschäftsführer der DGFG: „Unser Ziel als DGFG ist es, Patientinnen und Patienten in Deutschland mit hochwertigen Gewebetransplantaten zu versorgen. Dass nun eine Gewebezubereitung innovativ weiterentwickelt und vom PEI genehmigt wurde, die sogar ambulant implantiert werden und damit einer Vielzahl an Patienten zugutekommen kann, das freut uns ganz besonders. Doch auch eine solche Innovation ist nur möglich, wenn sich genügend Menschen dazu bereit erklären, Gewebe zu spenden. Nach wie vor haben wir einen Mangel an Gewebe, dazu zählen insbesondere Augenhornhäute, Herzklappen und Blutgefäße. Deshalb an dieser Stelle von uns als Gewebespendeeinrichtung noch einmal der Appell: Informieren Sie sich, treffen Sie eine Entscheidung und sprechen Sie mit Ihren Angehörigen darüber. Lassen Sie keine Fragen offen. Denn Ihre Familienmitglieder sind am Ende diejenigen, die gefragt werden, ob eine Entscheidung zur Gewebespende bereits zu Lebzeiten getroffen wurde. Hier entlasten Sie Ihre Angehörigen erheblich in dieser schweren Zeit des Verlusts und der Trauer.“ 

Was viele Menschen nicht wissen: Eine Hornhautspende ist eine Gewebe- und keine Organspende. Der Hirntod spielt bei der Gewebespende keine Rolle. Sie ist bis in hohe Alter möglich. Auch viele Krebserkrankungen, eine Kurz- oder Weitsichtigkeit, eine Hornhautverkrümmung oder auch Grüner oder Grauer Star sind keine Ausschlussgründe.