Schielen bei Kindern und Jugendlichen

Dr. med. Peter Heinz, Vorstandsmitglied der Stiftung Auge, gibt einen aktuellen Überblick über Ursachen, Folgen und Behandlungsmöglichkeiten.

©Berufsverband der Augenärzte
©Berufsverband der Augenärzte

Unter „Schielen“ bzw. „Strabismus“ versteht man einen Stellungsfehler der Augen, bei dem nur ein Auge auf das fixierte Objekt gerichtet ist und das andere Auge gleichzeitig davon abweicht. Dieser Stellungsfehler ist je nach Schielform deutlich bis kaum zu sehen. Es gibt grob unterteilt drei Schielformen: 

1) das Einwärtsschielen (Strabismus convergens, auch Esotropie genannt), 

2) das Auswärtsschielen (Strabismus divergens, auch Exotropie genannt) 

3) das Höhenschielen (Strabismus verticalis, auch Hypo- bzw. Hypertropie genannt). 

Ist das Höhenschielen mit einem Ein- oder Auswärtsschielen kombiniert, spricht man auch von einer sogenannten Zyklotropie. Daneben gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Schielformen, bei denen die Stellungsfehler alternierend – also wechselseitig – oder auch intermittierend – also abwechselnd – mit einer normalen Stellung auftreten. Zudem gibt es auch Schielformen, die durch neurologische Defekte im Rahmen von Infektionen und weiteren Erkrankungen hervorgerufen werden. Auch Verletzungen im Kopf- bzw. Gesichtsbereich können mechanisch bedingte Stellungsanomalien zur Folge haben.

Heterophorie

Abzugrenzen vom Schielen, also einer manifesten Abweichung der Augenstellung, ist das sogenannte „latente Schielen“ (Heterophorie). Auch die Phorien lassen sich analog zu den Schielformen in Exo-, Eso- und Hypo- bzw. Hyperphorie unterteilen. Bei einer Heterophorie ist das räumliche Sehen nicht aufgehoben. Dieses kommt bei 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung vor und erfordert, solange es keine Beschwerden verursacht, keine Therapie. Nur maximal etwa zehn Prozent der Patienten, bei denen eine Heterophorie vorliegt, beklagen Beschwerden und müssen dann entsprechend behandelt werden. Dies geschieht in der Regel mittels der Verordnung einer entsprechenden Brille, wobei nur ein Bruchteil zusätzlich Prismen in den Brillengläser benötigt. Gewarnt sei hierbei ausdrücklich vor einem unkritischen Einsatz von Prismen in den Brillengläsern, was einige Optiker/innen unter der „Feststellung“ einer „Winkelfehlsichtigkeit“ propagieren und durchführen. Ein solcher Einsatz kann auch negative Folgen für die weitere Augenentwicklung haben und sogar in der Notwendigkeit einer Schieloperation münden. Die Verordnung von Kinderbrille ist deshalb an hohe Vorgaben geknüpft und die Erstverordnung einer Kinderbrille ohne vorherige Cycloplegie, das heißt die Lähmung des Ziliarmuskels mittels Augentropfen, um ein exaktes Ergebnis zu erhalten, ist ein Kunstfehler. Diese Cycloplegie können und dürfen Optiker/innen nicht durchführen.

Was können nun aber Ursachen von Schielen bei Kindern und Jugendlichen sein?

Die genauen Ursachen für ein frühkindliches Schielen sind bisher leider nicht bekannt. Einerseits spielt aber eine familiäre Disposition eine sehr große Rolle. Aber auch Frühgeburten, Sauerstoffmangel während des Geburtsvorgangs, starke angeborene Fehlsichtigkeiten (insbesondere der Weitsichtigkeit) oder auch hohe Differenzen bei den Fehlsichtigkeiten zwischen beiden Augen sind eindeutige Risikofaktoren.

Welche Auswirkung hat das Schielen bei Kindern?

Wenn beide Augen nicht das gleiche Objekt korrekt fixieren können, ist kein räumliches (also dreidimensionales) Sehen möglich. Die Augen leiten nämlich den Bildeindruck über die Sehnerven an das Gehirn weiter, wo diese Eindrücke im Sehzentrum verarbeitet und zu einem Bildeindruck zusammengesetzt werden. Wir sehen also eigentlich mit dem Gehirn. Weichen nun die Bilder, die dem Sehzentrum übermittelt werden, voneinander ab, da nicht seitengleich fixiert wird, kann kein entsprechender dreidimensionaler Bildeindruck erzeugt werden. Die Folge ist, dass Doppelbilder entstehen. Um dies zu vermeiden, ist das kindliche Auge in der Lage, den störenden Doppelbildeindruck durch das Unterdrücken der Informationen des schielenden Auges zu beseitigen. Dies hat aber dann neben dem fehlenden dreidimensionalen Eindruck auch die Folge, dass aufgrund des permanenten Abkoppelns des Auges, die Sehschärfe auf dem schielenden Auge „verkümmert“ und dieses organisch eigentlich völlig intakte Auge amblyop wird. Da das Kind dieses Abkoppeln in der Regel nicht bemerkt und der vorhandene Seheindruck als normal empfunden wird, werden in der Regel keine Beschwerden geäußert. Anders verhält es sich, wenn das Schielen etwas später auftritt, beispielsweise durch die Dekompensation eines latenten Schielens oder eine andere Erkrankung (neurologisch, entzündlich, tumor- oder gefäßbedingt). Das schielende Auge wird also vom Gehirn gewissermaßen „abgeschaltet“, damit es nicht stört. Das Schielen hat also nicht nur eine mehr oder weniger stark ausgeprägte kosmetische Komponente, sondern führt auch – unbehandelt – zu drastischen funktionellen Einbußen.

Wie wird das Schielen bei Kindern nun behandelt?

Das erste Ziel der Behandlung ist es, die Entwicklung einer Amblyopie aufzuhalten, zu reduzieren oder gar zu verhindern. Dazu zählt, nach eingehender augenärztlicher und orthoptischer Untersuchung in der Regel zunächst das Verordnen einer Brille, um die vorhandenen Fehlsichtigkeiten auszugleichen. Danach wird dann, um die Sehschärfenentwicklung des schielenden Auges zu verbessern, das gesunde, nichtschielende Auge stundenweise abgeklebt (okkludiert). Dies soll das Sehzentrum im Gehirn wieder dazu bringen, die Verarbeitung der Seheindrücke des schielenden Auges besser durchzuführen, den Eindruck des schielenden Auges quasi wieder anzukoppeln. Wichtig ist hierbei aber, den Eltern zu erklären, dass durch diese Okklusionstherapie in der Regel das Schielen an sich nicht behoben wird, also trotzdem kein räumliches Sehen entstehen wird, aber sich die Sehschärfe des schielenden Auges verbessern sollte. Man weiß ja nie, was im Laufe des weiteren Lebens so alles mit den Augen passiert und ob man dann gegebenenfalls auf dieses „Reserveauge“ angewiesen sein könnte. Diese Okklusionstherapie muss aber, um ihre Wirksamkeit voll entfalten zu können, so früh wie möglich begonnen werden. Der Hauptteil der Sehentwicklung findet in den ersten fünf bis sechs Lebensjahren statt. Beginnt man diese Therapie später, ist die Wirksamkeit deutlich reduziert. Als weitere Behandlungsoption kommt auch ein operativer Eingriff infrage, wobei hier (mit einigen wenigen Ausnahmen) die ästhetische Komponente im Vordergrund steht. Ein dreidimensionales Sehen entwickelt sich hierdurch trotzdem meistens nicht. Eine eventuell erforderliche Operation findet meist zwischen dem zweiten und sechsten Lebensjahr statt (teilweise auch später). Während man bei einem sehr frühen operativen Eingriff die Chance auf das Entwickeln eines räumlichen Sehens zwar erhöhen kann, besteht gleichzeitig das Risiko, dass erneute Eingriffe im weiteren Verlauf erforderlich sein werden. Dies muss immer gegeneinander abgewogen werden.

Es versteht sich von selbst, dass ein Schielen neben der möglichen Stigmatisierung – gerade im Kindesalter – aufgrund des Erscheinungsbildes einen negativen Verlauf auf die psychosoziale Entwicklung der Kinder haben kann. Dies ist auch der Grund dafür, dass man trotz des beschränkten funktionalen Erfolges bei einem stark ausgeprägten Schielen bereits bei den jungen Patient/innen eine Operation durchführen muss. Die funktionellen Auswirkungen, wie das fehlende dreidimensionale Sehen und die Schwachsichtigkeit führen natürlich im weiteren Verlauf zu einer Einschränkung, was die spätere Berufswahl betrifft. Dies muss man mit den jungen Patient/innen und deren Eltern ebenfalls frühzeitig erörtern.

Das gesamte Feld des Strabismus ist aber wesentlich komplexer, als ich Ihnen hier in dieser Kurzdarstellung präsentieren konnte, und es gilt, dass Kinder, sobald der Verdacht auf ein Schielen vorliegt, unverzüglich eingehend augenärztlich-orthoptisch untersucht werden sollten. Dies kann nicht bei einem Optiker geschehen, sondern gehört in die Hand von Experten, und das sind die Augenärztinnen und Augenärzte.

Dr. med. Peter Heinz, Vorstandsmitglied der Stiftung Auge, Facharzt für Augenheilkunde, Schlüsselfeld

Quelle: Stiftung Auge