Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung ‒ das ist geplant

Am 16.12.2020 hat die Bundesregierung den Entwurf des „Gesetzes zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung“ (GVWG, siehe iww.de/s4692) vorgelegt. Zwar sind im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens noch Anpassungen zu erwarten, jedoch ist eine deutliche Tendenz vielfach bereits absehbar. Der nachfolgende Beitrag stellt ‒ ohne Anspruch auf Vollständigkeit ‒ ausgewählte Eckpunkte vor, die für Ärzte in Klinik und Praxis von besonderem Interesse sind.

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Ziel des GVWG

Das GVWG verfolgt nach eigener Aussage insbesondere folgende Ziele:

Die Qualität und Transparenz in der Gesundheitsversorgung zu steigern.

Die aktuelle, dauerhafte und den Qualitätsanforderungen genügende Verfügbarkeit verlässlicher Daten zu den ökonomischen Strukturen und personellen Ressourcen im Gesundheitswesen sicherzustellen.

Erweiterte Leistungsangebote für gesetzlich Versicherte zu schaffen.

Verbesserungen für privat Krankenversicherte durch eine Reform des Notlagentarifs zu erreichen.

Die Hospiz- und Palliativversorgung durch die Koordination in Netzwerken zu fördern.

Den genannten Zielen ist gemein, dass sie in gleichem Sinn auch Teil vorangehender Gesetzesvorhaben waren. Die Ziele sind also nicht neu, die einzelnen Maßnahmen zur Erreichung des Ziels hingegen schon. 

Die Umsetzung der vorgestellten Ziele soll durch verschieden Maßnahme erreicht werden. Diese wiederum bedingen Änderungen in mehreren gesetzlichen Grundlagen.

Anpassungen im sogenannten „Notlagentarif der PKV“

Die Einführung des Notlagentarifvertrags in der PKV im Jahr 2013 sollte u. a. bereits sicherstellen, dass auch im Fall von Beitragsrückständen eine medizinische Versorgung insbesondere bei akuten Erkrankungen, Schwangerschaft und Mutterschutz gewährleistet wurde. Wie bereits im Basistarif vorgesehen, wird nun auch für den Notlagentarif ein Direktanspruch des Leistungserbringers gegenüber dem Versicherer auf Leistungserstattung sowie eine gesamtschuldnerische Haftung von Versicherer und Versicherungsnehmer eingeführt.

Merke: Ärztinnen und Ärzte tragen nicht mehr das Risiko, ihren Honoraranspruch beim möglicherweise nicht (mehr) leistungsfähigen Patienten einzufordern, sondern können sich an den Versicherer halten.

Telefonisches Ersteinschätzungsverfahren via Terminservicestelle

Mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) wurde den Terminservicestellen die Aufgabe zugewiesen, den Versicherten durch entsprechend qualifiziertes Personal rund um die Uhr auf der Grundlage eines standardisierten Ersteinschätzungsverfahrens in Akutfällen eine unmittelbare ärztliche Versorgung in der medizinisch gebotenen Versorgungsebene zu vermitteln. Es wird nun in § 75 Abs. 1a SGB V „klargestellt“, dass hierzu auch die Vermittlung eines kurzfristigen telefonischen Arztkontakts gehören kann, wenn dies geboten ist. Als denkbare Fälle benennt der Entwurf Fälle, bei denen der vorliegende Behandlungsbedarf allein telefonisch geklärt werden könne (?). Allein unter haftungsrechtlichen Gesichtspunkten dürfte sich diese Ergänzung zu einem weitgehend „anwendungsfreien“ Gesetz entwickeln.

Einführung eines DMP Adipositas

Für gesetzlich Versicherte wird ein neues Disease Management Programm (DMP) eingeführt, das an Adipositas leidenden Patienten eine verbesserte Versorgung eröffnen soll. Die Teilnahme ist wie üblich freiwillig. Das Nähere hat der G-BA innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten des GVWG umzusetzen.

Merke: Für die Ärztinnen und Ärzte dürfte hier eine interessante Perspektive liegen, da eine relevante Anzahl von Menschen an Adipositas leidet und ein strukturiertes DMP förderlich sein dürfte. Die Vergütung des DMP wird extrabudgetär erfolgen. Dabei ist die konkrete Umsetzung durch den G-BA zentral.

Anspruch auf Schutz rund um Schwangerschaft unabhängig vom Geschlechtseintrag

Es wird gesetzlich in § 24c ff. SGB V klargestellt, dass jede Person, die schwanger ist, ein Kind geboren hat oder stillt, unabhängig vom Geschlechtseintrag im Geburtenregister Anspruch auf Leistungen im Fall von Schwangerschaft oder Mutterschaft hat.

Vorbereitung auf stärkeren Schutz vor Grippe

Im Hinblick auf die weiter schwelende Pandemiesituation ist ein besonders intensiver Schutz vor der Influenza beabsichtigt, um eine Überlastung des Gesundheitssystems durch eine ggf. besonders intensive Grippesaison zu verhindern. Geplant ist eine Impfinitiative mit einem Mehraufwand von 30% in Relation zum Umfang bisheriger Grippeimpfungen.

Auf- und Ausbau von Hospiz- und Palliativnetzen

Zur Förderung der Koordination von Hospiz- und Palliativnetzwerken sollen die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich künftig nach einem neu einzufügenden § 39d SGB V unter bestimmten Voraussetzungen Zuschüsse zahlen und sich gemeinsam mit kreisfreien Städten oder Kreisen an dem Aufbau und der Förderung von regionalen Hospiz- und Palliativnetzwerken beteiligen. Die bisher und auch weiterhin Verantwortlichen sollen sich also nicht zurückziehen, sondern vielmehr wird die Finanzierung der Netzwerke durch die Förderung der GKV ergänzt und verbessert werden; eine rein organisatorische Unterstützung durch die Kommunen genügt dabei nicht. Die künftige Förderung ist nämlich an die Bedingung geknüpft, dass sich auch kommunale Träger im Rahmen der ihnen obliegenden Daseinsvorsorge an der Förderung der Netzwerke (finanziell) beteiligen. 

Diese an sich zur Stärkung der regionalen Netzwerke geplante Regelung könnte sich ins Gegenteil verkehren, da einerseits bereits die kommunalen Träger wenig finanziellen Spielraum haben dürften, um sich entsprechend zu engagieren. Ferner dürfte die Koordination und Struktur der ohnehin bereits komplexen Hospiz- und Palliativversorgung durch einen weiteren Akteur nicht unbedingt einfacher werden.

Vorgabe weiterer Mindestmengen in Krankenhäusern

Das GVWG fördert die Festlegung weiterer Mindestmengen in der Krankenhausversorgung und deren Durchsetzung. So wird der G-BA in § 136b SGB V verpflichtet, in den Jahren 2021 bis 2023 vier weitere Leistungen oder Leistungsbereiche festzulegen, für die Mindestmengen gelten sollen.

Kommentar: Mit dieser Vorgabe wird sich der Wettbewerb weiter intensivieren. Kleinere Häuser, insbesondere solche der Regelversorgung werden sich weiter darauf einstellen (müssen), dass ein etwaig bestehendes Leistungsportfolio gesetzlich eingeschränkt wird. Diese unter dem Deckmantel der Qualitätssicherung und -förderung wandelnde Maßnahme wird somit weiter fokussiert und dürfte auf lange Sicht zum ‒ letztlich gewollten ‒ Abbau von Krankenhauskapazitäten gerade in „überversorgten“ Regionen führen. Aktiv formuliert wird dies im GVWG freilich nicht.

Ausbau der Zweitmeinungsverfahren

Der G-BA erhält in § 27b SGB V den verpflichtenden Auftrag, die Zweitmeinungsverfahren jährlich um zwei weitere Entitäten zu erweitern. Etabliert ist das Zweitmeinungsverfahren aktuell für Eingriffe an Gaumen- oder Rachenmandeln (Tonsillektomie, Tonsillotomie), die Gebärmutterentfernung (Hysterektomie), Gelenkspiegelungen an der Schulter (Schulterarthroskopie) sowie bei Implantation einer Knieendoprothese. Der auf dieser Basis bestehende E„Qualitätscheck-Anspruch“ wird für gesetzlich versicherte Patienten somit künftig stetig ausgebaut.

Obligate Veröffentlichung des Pflegepersonalquotienten in Krankenhäusern

Krankenhäuser werden über § 137j SGB V n. F. verpflichtet, für jeden Standort eines Krankenhauses den Pflegepersonalquotienten zu veröffentlichen. Dieser Quotient beschreibt das Verhältnis von eingesetztem Personal zum Pflegeaufwand. Die Meldung erfolgt an das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK), welches die Werte auf der Internetseite publiziert.

Kommentar: Durch diese Maßnahme soll transparent werden, ob ein Krankenhaus, gemessen an seinem jeweiligen Pflegeaufwand, viel oder wenig Personal einsetzt. Offenbar soll das in der Praxis jedenfalls vonseiten der Versicherten schon wenig genutzte Instrument des Qualitätsberichts nicht aufgegeben werden, sondern zusätzlich um die ‒ aktueller zu fassenden ‒ Informationen auf den Internetseiten des InEK ergänzt werden. Es darf aber zumindest kritisch gesehen werden, ob der Qualitätsbericht, der ohnehin zeitlich verzögert und nur in längeren Intervallen veröffentlicht wird, in Kombination mit den Internetseiten des InEK insoweit ein realistisches Bild über die personelle Besetzung für die Versicherten ermöglicht.

Einheitliches System für Ersteinschätzung bei Notfällen

In der ambulanten Notfallversorgung, die über Jahre ein Streitobjekt zwischen ambulantem und stationärem Sektor war und ist, wird „für eine verbesserte Patientensteuerung“ ein standardisiertes und bundesweit einheitliches Ersteinschätzungsverfahren für die ambulante Notfallversorgung im Krankenhaus eingeführt in § 120 Abs. 3b SGB V. Die Anwendung dieses Verfahrens, das der GBA binnen sechs Monaten nach Inkrafttreten des GVWG zu beschließen hat, wird Voraussetzung für die Abrechnung ambulanter Notfälle (!). Hier dürfte eine der zentralsten Auswirkungen für die Praxis der Leistungserbringer fixiert liegen. Mit Spannung darf sodann die Konkretisierung durch den G-BA erwartet werden.

Erweist sich im Rahmen des Einschätzungsverfahrens, dass zwar ein Behandlungsbedarf besteht, dieser aber keine Akutversorgung in der Krankenhausnotfallambulanz erfordert (also kein Notfall vorliegt i. S. d. § 76 Abs. 1 S. 2 SGB V), kann über den neuen § 75 Abs. 4 SGB V die ansonsten bei Inanspruchnahme der Terminservicestelle notwendige Überweisung zu einem Facharzt entfallen. Für Termine bei Augen- und Frauenärzten und bei Akutfällen gilt auch jetzt bereits, dass es einer Überweisung nicht bedarf.

Kommentar: Diese Anpassung ist zu begrüßen, da eine ärztliche Abklärung erfolgt ist und sich die Notwendigkeit einer weiteren „Überweisung“ als reine Förmelei erweisen würde.

Veröffentlichung einrichtungsbezogener Vergleiche

Es werden Regelungen eingeführt, die explizit die Veröffentlichung von einrichtungsbezogenen „risikoadjustierten“ Vergleichen hinsichtlich der Erfüllung von Qualitätskriterien vorsehen. Dazu wird ein neuer § 136a Abs. 6 SGB V eingefügt. Den grundsätzlich schützenswerten Interessen der Leistungserbringer wie z. B. Krankenhäusern wird insoweit Nachrang gegenüber den Interessen von Patienten auf „körperliche Unversehrtheit“ (sic!) eingeräumt.

Kommentar: Der erheblichen und wohl im Vorfeld erwarteten Kritik wird durch eine ungewöhnlich lange Begründung des Gesetzesvorhabens Rechnung getragen. Abzuwarten bleibt, ob das Gesetz in dieser strengen Fassung tatsächlich umgesetzt werden wird und ob dieses Gesetz einer etwaigen (verfassungsrechtlichen) Prüfung standhalten wird.

Berufshaftpflichtversicherung für Vertragsärzte 

Um die Realisierbarkeit von Schadensersatzansprüchen und Regressforderungen in Fällen von Behandlungsfehlern zu stärken, sind die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Leistungserbringer künftig nicht nur – wie bislang – berufsrechtlich, sondern künftig auch vertragsärztlich verpflichtet, sich ausreichend gegen die sich aus der Berufsausübung ergebenden Haftpflichtgefahren zu versichern.

Dieser – relativ harmlos, da formal angeblich nur klarstellende – Punkt hat für erhebliche Unruhe bei den KVen und Ärztekammern gesorgt. Denn mit dieser Vorschrift werden u. a. die Zulassung von Vertragsärzten und Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) sowie die Genehmigung zur Anstellung und selbst die Ermächtigung von Ärzten unter den Vorbehalt des Nachweises einer ausreichenden Berufshaftpflichtversicherung gestellt. Die Zulassungsausschüsse (ZA) bei den Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) werden verpflichtet, den Versicherungsschutz in allen Antragsverfahren zu prüfen und den Nachweis bei bereits an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzten nachzufordern. Vertragsärzte sollen verpflichtet werden, gegenüber den ZAen als zuständige Stellen nach § 117 Abs. 2 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) das Bestehen des Versicherungsschutzes durch Vorlage einer Versicherungsbescheinigung nach § 113 Abs. 2 VVG nachzuweisen. Sofern der Versicherungsschutz nicht nachgewiesen wird, ist der Antrag durch den ZA nicht zu bescheiden bzw. das Ruhen der Zulassung oder der Widerruf der Ermächtigung anzuordnen. Dies würde naturgemäß erhebliche zeitliche Verzögerungen in den Zulassungsverfahren bedeuten, zumal eine Versicherungsbescheinigung (!), nicht nur die Zusage über eine Bereitschaft des Versicherers zum Abschluss der Versicherung im Fall der Zulassung beizubringen ist. Dies ist gerade in Fällen der „Reaktivierung“, in denen mehrere Bewerber sich um eine Zulassung streiten, eine erhebliche Hürde. Sowohl BÄK als auch KBV verweisen auf das Fehlen einer Regelungslücke für Vertragsärzte. Die Heilberufsgesetze der Länder und die Berufsordnungen schrieben Ärzten ohnehin den Abschuss einer ausreichenden Berufshaftpflichtversicherung vor. Die BÄK weist zudem auf verfassungsrechtliche und praktische Probleme hin, die sich ergeben, wenn sowohl Ärztekammern als auch ZAe zuständige Stelle im Sinne des § 117 Abs. 2 VVG werden. Die KBV rügt, dass der Bundesgesetzgeber mit § 95e SGB V ohne Notwendigkeit berufsrechtliche Regelungen in das Vertragsarztrecht überführt. Daneben äußern BÄK und KBV u. a. Bedenken an den vorgesehenen Regelungen zu den Mindestversicherungssummen. 

Für die ohnehin ausgelasteten ZAe bedeutet die Anpassung durch § 95e SGB V i.V.m. § 18 Abs. 2 sowie §§ 26, 27 Ärzte-ZV zusätzlichen Prüf- und Verwaltungsaufwand. Für niederlassungs- oder anstellungswillige Ärzte steht zu besorgen, dass die ohnehin langwierigen Zulassungs- und Genehmigungsverfahren künftig zusätzlich Zeit in Anspruch nehmen werden; insbesondere die bislang kurzfristig umsetzbare Möglichkeit zur Nachbesetzung von Anstellungsgenehmigungen wird erschwert, zumal die begehrte Nachbesetzung künftig erst erfolgen kann, nachdem der anstellende Arzt die Versicherungsbescheinigung – und nicht lediglich eine vorläufige Deckungszusage – für den anzustellenden Arzt beigebracht hat.

PIA und PsIA

Der GKV-Spitzenverband, die DKG und die KBV werden verpflichtet, den Vertrag nach § 118 Abs. 2 S. 2 SGB V und die Vereinbarung nach § 118 Abs. 3 SGB V an die Richtlinie des GBA zu einer berufsgruppenübergreifenden, koordinierten und strukturierten Versorgung psychisch Kranker anzupassen, um den PIA und PsIA auch eine sachgerechte Teilnahme an diesem Versorgungsbereich zu ermöglichen. Dieser Versorgungsbereich wird derzeit durch den GBA auf Basis der Vorgabe in § 92 Abs. 6b SGB V entwickelt, um insbesondere auch die Übergänge von stationärer zu ambulanter Versorgung und umgekehrt zu erleichtern. Das Leistungsspektrum für die PIA und PsIA wird somit in absehbarer Zeit erweitert werden. Die Überprüfung und Umsetzung wird sodann den Zulassungsausschüssen übertragen, die – so der derzeitige Entwurf – allerdings in diesen Fällen nur auf Antrag tätig werden.

Fazit

Das GVWG reiht sich in die fortlaufenden und regelhaft auftretenden Gesetzesvorhaben im Gesundheitswesen der vergangenen Jahre nahtlos ein. Es wird punktuell und in einer Vielzahl von Regelungen versucht, die Transparenz und Qualität zu fördern. Die gewählten Ansätze dürften die hehren Zielen nach Überzeugung des Verfassers jedoch nur teilweise erreichen. Es bleibt abzuwarten, inwieweit im Gesetzesverfahren noch Anpassungen erfolgen werden. Sicher ist: Die Praxis darf sich (wieder einmal) auf einige spannende Änderungen einstellen.

RA, FA MedizinR, Wirtschaftsmediator Dr. Tobias Scholl-Eickmann, Kanzlei am Ärztehaus, Dortmund