Rechtsprechung: Kein Entkommen von der Pflicht zum Bereitschaftsdienst

Von einem Vertragsarzt im Bereitschaftsdienst wird keine optimale oder umfassende ärztliche Versorgung erwartet und verlangt. Er soll sich vielmehr auf qualifizierte Maßnahmen zur Überbrückung der sprechstundenfreien Zeit beschränken und die reguläre Weiterversorgung den weiterbehandelnden Ärzten überlassen und wenn nötig die Einweisung zur stationären Versorgung veranlassen.

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Diese Aufgabe ist nach Überzeugung des Sozialgerichts (SG) Marburg auch mit der möglicherweise minderwertigen Ausstattung in der Bereitschaftsdienstzentrale zu erfüllen (Beschluss vom 20.07.2020, Az. S 11 KA 279/20 ER).

Der Fall

Die KV zog eine Augenärztin, die in A-Stadt eine gut ausgestattete Praxis führt, zum ärztlichen Bereitschaftsdienst in der Bereitschaftsdienstzentrale der B-Stadt heran. Die sofortige Vollziehung der Heranziehung wurde angeordnet. Dagegen klagte die Augenärztin. Sie rügte vor allem, dass sie den Dienst nicht in ihrer eigenen, sehr gut ausgestatteten Praxis ableisten könne, sondern stattdessen Präsenz an dem äußerst minderwertig ausgestatteten Ort des augenärztlichen Bereitschaftsdienstes von ihr verlangt werde.

Die Entscheidung

Das SG Marburg wies den Antrag der Augenärztin auf Beseitigung der Anordnung der sofortigen Vollziehung des Bescheids als unbegründet ab. Das SG führt dazu aus, dass eine Unzumutbarkeit vorliegen müsste, damit dem Antrag der Ärztin stattgegeben werden könne. Es sei der Ärztin aber nicht unzumutbar, in einer anderen Stadt in minderwertig ausgestatteten Praxisräumen ihren Bereitschaftsdienst zu versehen. 

Aufgabe des Bereitschaftsdienstes sei die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung außerhalb der Sprechstundenzeiten. In diesem Zusammenhang stellt das SG Marburg klar, dass von dem Vertragsarzt im Bereitschaftsdienst keine optimale oder umfassende ärztliche Versorgung erwartet und verlangt werde. Er solle sich vielmehr auf qualifizierte Maßnahmen zur Überbrückung der sprechstundenfreien Zeit beschränken und die reguläre Weiterversorgung den behandelnden Ärzten überlassen und ggf. die Einweisung zur stationären Versorgung veranlassen. Diese Aufgabe ist nach Überzeugung des Gerichts auch mit der möglicherweise minderwertigen Ausstattung in der Bereitschaftsdienstzentrale zu erfüllen.

Praxistipp

Die Versorgung durch den Bereitschaftsdienst der KV ist ein Ersatzdienst und muss nicht auf eine optimale oder umfassende Versorgung gerichtet sein. Der Vertragsarzt im Bereitschaftsdienst muss also in der Bereitschaftsdienstpraxis mit dem arbeiten, was er dort vorfindet. Der Bereitschaftsdienst soll nur die Zeit überbrücken, bis der Patient am nächsten Werktag in einer Vertragsarztpraxis versorgt werden kann – schwere Fälle sind vom Bereitschaftsdienstarzt an ein Krankenhaus zu verweisen.   

Dies bringt für den Arzt aber haftungsrechtliche Probleme: Wenn der Arzt in der Bereitschaftsdienstpraxis bestimmte Untersuchungsgeräte nicht zur Hand hat, kann er möglicherweise notwendige Diagnostik nicht durchführen. Soll er dann den Patienten zur Sicherheit zur weiteren Diagnostik an eine Klinik verweisen? Er könnte sich ja sonst dem (schwerwiegenden) Vorwurf des Patienten ausgesetzt sehen, er habe notwendige Diagnostik unterlassen (sog. Befunderhebungsfehler). 

Der Arzt geht hier den sichersten Weg, wenn er den Patienten (in dokumentierter Form, sprich dies muss in der Behandlungsakte vermerkt werden) darauf hinweist, dass er eine bestimmte (erforderliche) Diagnostik nicht durchführen kann und diesem empfiehlt, zur Abklärung entweder sogleich die Augenklinik aufzusuchen oder am nächsten Werktag einen niedergelassenen Augenarzt. 

RA, FA MedR Philip Christmann, Berlin/Heidelberg, christmann-law.de