„Intraoperative OCT-Bildgebung gilt vielen Chirurgen bereits als unverzichtbar" - Dr. Martin Hacker über Einsatzgebiete und Zukunftsperspektiven der OCT

Nur wenige Technologien haben so schnell Einzug in die klinische Praxis gefunden wie die Optische Kohärenztomographie (OCT). 1991 am MIT entwickelt, ist sie heute in der Augenheilkunde unverzichtbar. ZEISS ist einer der führenden Hersteller von OCT-Geräten. Ein Interview mit Dr. Martin Hacker, Head of Advanced and Business Development Glaucoma and Dry Eye bei der Medizintechniksparte von ZEISS, über aktuelle Entwicklungen und Zukunftsperspektiven der OCT.

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Wie sieht der aktuelle Stand der Optischen Kohärenztomographie aus? 

Im Hinblick auf die Erkennung und Behandlung von Augenerkrankungen ist die Optische Kohärenztomographie (OCT) ein wichtiges Werkzeug, das von Ophthalmologinnen und Ophthalmologen täglich genutzt wird. OCT bietet eine 3D-Visualisierung der Strukturen des Auges sowie eine Querschnittsdarstellung der Schichten der Netzhaut, ohne dafür das Auge auch nur berühren zu müssen. Es ist erstaunlich, dass dabei Details bis in die Größenordnung einzelner Zellen (<20µm) sichtbar sind.
In der ophthalmologischen Biometrie, beispielsweise zur Planung einer Kataraktoperation, erlaubt die aktuelle Swept-Source OCT-Technologie, wie sie im ZEISS IOLMaster 700 zum Einsatz kommt, eine Vermessung des gesamten Auges von der Hornhaut bis zur Netzhaut in einem einzigen Tiefenscan, was sehr präzise und wiederholbare Ergebnisse gewährleistet.
In der Augenchirurgie kann die intraoperative OCT-Bildgebung sehr detaillierte Informationen über Strukturen liefern, die in einem normalen Operationsmikroskop nicht sichtbar sind, zum Beispiel im Bereich der Hornhaut oder der Netzhaut. Wie auch in der Diagnostik profitiert die OCT-Bildgebung zudem von der relativ großen Eindringtiefe des verwendeten Nahinfrarot-Lichts in das Gewebe, wodurch wichtige Tiefeninformationen gewonnen werden können.

Bei welchen ophthalmologischen Krankheitsbildern ist die OCT-Diagnostik mittlerweile unverzichtbar?

OCT ist unverzichtbar bei der Erkennung und Überwachung praktisch jeder Erkrankung, die die Struktur oder die Mikrovaskulatur der Netzhaut beeinträchtigt – einschließlich diabetischer Retinopathie, altersbedingter Makuladegeneration, Glaukom und vieler anderer Netzhauterkrankungen.  
OCT spielt aber auch eine wichtige Rolle bei der Visualisierung von Hornhautstrukturen oder auch der vitreoretinalen Grenzfläche.
Die noch recht junge intraoperative OCT-Bildgebung wird von vielen Anwendern bereits als unverzichtbar für komplizierte Operationen empfunden, wie beispielsweise Hornhauttransplantationen (DMEK, DALK) oder die Behandlung von Netzhautlöchern. 

Bleiben wir beim Thema intraoperative OCT. Was sind hier die wichtigsten Entwicklungen?

Ein wichtiger Aspekt der intraoperativen OCT-Bildgebung ist die Augmentierung , alsoErweiterung, der Operationsfeldvisualisierung im Operationsmikroskop durch die überlagerte Darstellung von OCT-Schnittbildern. Dies kann heute intraoperativ in Echtzeit mit sehr geringer Latenzzeit durchgeführt werden und ermöglicht Chirurginnen und Chirurgen einen einfacheren und intuitiveren Workflow während der Operation.
Für Anwenderinnen und Anwender ist es dabei oft wichtig, eine bestimmte Region im Blick zu behalten, z.B. die Makula, auch wenn sich das Auge durch den chirurgischen Eingriff bewegen sollte. Hier sorgen neueste Algorithmen dafür, dass die OCT-Bildgebung immer an der gleichen Stelle und bei automatisch optimierter Fokussierung erfolgt. Chirurginnen und Chirurgen können sich voll auf die Operation konzentrieren und müssen sich nicht um das Bildgebungssystem kümmern.
Ein nächster wichtiger Schritt, um die Augmentierung des Operationsfeldes weiter zu verbessern, war die Entwicklung des volldigitalen Mikroskops ZEISS ARTEVO 800. Bei diesem Mikroskop konnte die Fusion eines digitalen Mikroskopbildes mit den OCT-Bildern auf eine nächste Stufe gehoben werden. Chirurginnen und Chirurgen profitieren von einer verbesserten Visualisierung, wie z.B. von einer erhöhten Tiefenschärfe und verbesserter OCT-Qualität. Gleichzeitig verringern reduzierte Lichtwerte die Belastung des zu behandelnden Auges.
Ein noch sehr junges Feld ist die Gentherapie, zu der intraoperative OCT einen wesentlichen Beitrag leisten kann, indem sie hilft, subretinale Injektionen kleinster Mengen in die richtigen Schichten einzubringen.

Wo liegen derzeit noch die Grenzen der OCT-Technologie?

OCT ist auf die Darstellung struktureller und bestimmter dynamischer Aspekte streuender Gewebe und Flüssigkeiten beschränkt. Daher werden Farb- und Fluoreszenz-Bildgebung (wie beispielsweise FA, ICG, FAF) immer noch zur Ergänzung der durch OCT gewonnenen diagnostischen Informationen verwendet. Die Fähigkeit der OCT-Technologie, auch Partikelbewegungen zu detektieren und dies beispielsweise zur Messung des Blutflusses zu nutzen (OCT-Angiographie), hat jedoch schon einen großen Teil der Fluoreszenz-Bildgebung überflüssig gemacht. Zukünftig könnten 3D-Strukturinformationen aus der OCT auch weitere Biomarker-Informationen liefern, um klinische Entscheidungen zu treffen, ohne dass dazu eine weitere Fundusbildgebung erforderlich wäre.
Eine generelle Herausforderung bei der Bildgebung breiterer Sichtfelder ist die damit verbundene Erzeugung sehr großer 3D-Datensätze. Zum Beispiel kann ein OCT-3D-Datensatz, der ein ähnliches Sichtfeld wie eine moderne Funduskamera abdeckt, leicht eine Milliarde Datenpunkte enthalten. Dies führt zu Einschränkungen sowohl durch die Notwendigkeit ultraschneller elektronischer Detektionssysteme als auch durch die notwendige Speicherung und Verarbeitung dieser großen Datensätze. 
Mit zunehmender Erfassungsgeschwindigkeit und der Fähigkeit von Computern, größere Datensätze zu verarbeiten und zu speichern, wächst aber die Fähigkeit von OCT-Geräten, immer größere Sichtfelder abzubilden. Modernste kommerzielle Forschungs-OCT-Systeme wie das ZEISS PLEX Elite können durch eine Kombination aus hoher Erfassungsrate und Bildmontage Sichtfelder von bis zu ca. 70° abdecken.
Eine Einschränkung der OCT ist allerdings durch die Physik gegeben: Im Vergleich zu anderen lichtbasierten Bildgebungstechnologien ist die Eindringtiefe der OCT zwar sehr hoch, erlaubt aber dennoch nicht, alle Regionen des Auges zu erreichen. So ist es beispielsweise noch ein ungelöstes Problem, hinter die Iris zu sehen, um beispielsweise in Vorbereitung einer IOL-Implantation den gesamten Kapselsack sichtbar zu machen.

Mit welchen Neuentwicklungen können Augenärzte in den nächsten Jahren rechnen?

OCT ist immer noch eine sich relativ schnell entwickelnde Technologie, so dass wir Verbesserungen in mehreren Bereichen erwarten sollten.
Ein primärer Bereich für Optimierung ist die Vergrößerung des Sichtfeldes bei gleichzeitiger Erhöhung der Geschwindigkeit. Auch die Qualität der B-Scans (Schnittbilder) und der OCT-basierten Enface-Darstellungen (Oberflächenbilder) dürfte sich weiterentwickeln. Insbesondere erwarten wir, dass sich die Qualität und Wiederholbarkeit der OCT-Angiographie weiter verbessern wird, was ihren Einsatz in der klinischen Standardversorgung stärken dürfte.
Das stetig wachsende Feld der künstlichen Intelligenz bzw. des Deep Learnings wird wahrscheinlich alle Aspekte der Ophthalmologie beeinflussen, einschließlich der OCT-Technologie. Neben der Verbesserung der Bilder durch KI-basierte Signalverarbeitung erwarten wir einen zunehmenden Einsatz von KI in der klinischen Entscheidungsunterstützung. Diese wird sowohl die Effizienz erhöhen, indem sie Ärztinnen und Ärzte beispielsweise automatisiert zu interessanten Bereichen in den Bildern oder 3D-Datensätzen führt, als auch eine bessere Vorhersage des Auftretens von Krankheiten wie feuchter AMD ermöglichen. So kann eine frühzeitige Behandlung unterstützt werden.

Worauf sollte ein Augenarzt beim Kauf eines OCT-Geräts besonders achten?

Es gibt eine Reihe von Aspekten, die beim Kauf eines OCT-Gerätes sowie jedes anderen ophthalmologischen Instruments zu beachten sind:  

  • Verfügt das Gerät über die Eigenschaften und Funktionen, die ich benötige, und zwar nicht nur auf dem Gerät, sondern auch in der Software, die die Daten des Geräts verwaltet und darstellt.
  • Ist das Gerät einfach und intuitiv zu bedienen? Gibt es intelligente Automatisierungsmöglichkeiten, die bei der Durchführung von Arbeitsschritten helfen?
  • Verfügt das herstellende Unternehmen über eine ausreichende Support- & Service-Organisation und das Fachwissen, um bei der Installation des Geräts in meinem Klinik- oder Praxisnetzwerk zu helfen, das Gerät mit meinem EMR zu verbinden, mein Personal in der Verwendung des Geräts zu schulen, sowie die Verwendung des Geräts für meinen Praxis-Workflow zu optimieren?
  • Sie sollten die praktischen Erfahrungen Ihrer Kolleginnen und Kollegen mit dem OCT-Gerät berücksichtigen, das Sie in Betracht ziehen, sowie die Reputation und die Nachweise des Herstellers.

Wie schnell amortisiert sich die Anschaffung eines OCTs?

Die Amortisationszeit kann je nach Größe der Klinik und Spezialisierung der Ärztinnen und Ärzte variieren, aber typischerweise dauert es weniger als 3 Jahre, bis sich ein diagnostisches OCT-Gerät amortisiert hat.

Die OCT-Technologie entwickelt sich ja kontinuierlich weiter. Können ältere Geräte entsprechend nachgerüstet werden?

Ein OCT-Gerät besteht aus 3 Teilen: erstens der Hardware, zweitens der Software, die die vom Gerät erfassten Daten analysiert und drittens den verarbeiteten Daten.
Wie Sie sich vorstellen können, ist es weniger einfach, das physische Gerät nachzurüsten. Dagegen werden Software-Upgrades routinemäßiger zur Verfügung gestellt, können aber sehr leistungsfähig sein. Ein Beispiel dafür ist die Einführung der OCT-Angiographie der Netzhaut, die ein Software-Upgrade für das ZEISS CIRRUS HD-OCT war.  
Ein wichtiger Aspekt eines OCT-Gerätes sind die Weiterverwendungsmöglichkeit und Übertragbarkeit bereits gesammelter klinischer Daten. Da es sich bei vielen Augenerkrankungen um Leiden handelt, die über einen langen Zeitraum fortschreiten können, ist es wichtig, dass man die mit einem älteren OCT-Gerät gesammelten Daten auf einem neuen OCT-Gerät weiter nutzen kann. Dies gehört bei ZEISS OCT-Geräten zum Standard.