Der Chefarzt zwischen Patientenwohl und den Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes

Der Marburger Bund (MB) kritisiert, dass es immer wieder zu Verstößen gegen die Regelungen in den Tarifverträgen des MB und das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) komme. Die Arbeitslast sei vielfach zu hoch, Patientensicherheit und das Wohl der Mitarbeiter würden leiden, so auch das Deutsche Ärzteblatt. Wenngleich der MB seinen Vorwurf primär an die Krankenhausträger richtet, stellt sich die Frage, ob und inwieweit auch der Chefarzt verantwortlich ist oder zur Verantwortung gezogen werden kann.

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Patientenversorgung vs. Arbeitszeitverantwortung

In erster Linie obliegt dem Chefarzt die Versorgung der ihm anvertrauten Patienten. Er setzt den vom Krankenhaus geschuldeten Facharztstandard um. Zugleich ist der Chefarzt für die (rechtzeitige) Dienstplangestaltung einschließlich der Organisation des Bereitschafts- und Rufbereitschaftsdienstes in seiner Abteilung verantwortlich. Ihm obliegt es, eine ärztliche Versorgung und Betreuung der Patienten seiner Abteilung zu gewährleisten und das ihm nachgeordnete ärztliche Personal effektiv und effizient einzusetzen.

Dabei haben die Dienstplanerstellung und die Einteilung der Ärzte zu den Diensten unter Beachtung der arbeitszeitgesetzlichen Vorgaben und Grenzen zu erfolgen. I. d. R. werden die erarbeiteten Dienstpläne durch die Personalabteilung und die Mitarbeitervertretung geprüft.

Übertragung der ArbZG-Verantwortung: Vereinbarung erforderlich

Gemäß § 22 ArbZG liegt die Verantwortung für die Einhaltung der Arbeitszeiten originär beim Arbeitgeber. Gleichwohl sehen die Dienstverträge regelmäßig vor, dass der Chefarzt für die Einhaltung der Arbeitszeiten der Mitarbeiter und der arbeitszeitgesetzlichen Regelungen durch die Mitarbeiter seiner Abteilung zu sorgen hat. Verstöße gegen das ArbZG können als Ordnungswidrigkeiten mit einem Bußgeld geahndet werden (§ 22 ArbZG). Bei vorsätzlicher Begehung und Gefährdung der Gesundheit oder Arbeitskraft des Arbeitnehmers sowie bei beharrlicher Wiederholung kann sogar ein Straftatbestand vorliegen (§ 23 ArbZG).

Merke: Die nachgeordneten Mitarbeiter können nicht auf die Einhaltung der arbeitszeitgesetzlichen Vorgaben verzichten. Ebenso irrelevant für die Frage eines Verstoßes gegen Höchstgrenzen ist die Vergütung als Überstunden, da es sich um ein ‒ nicht zur Disposition stehendes ‒ Schutzgesetz handelt.

Konflikt zwischen Facharztstandard und Arbeitsrecht

Eine besondere Herausforderung ist die Dienstplangestaltung, wenn der ärztliche Dienst nicht ausreichend besetzt ist, um die Patientenversorgung innerhalb der gesetzlichen Arbeitszeithöchstgrenzen und/oder die Bereitschaftsdienste und Rufbereitschaft sicherzustellen. Dienstvertraglich wird dem Chefarzt zwar regelmäßig die Pflicht auferlegt, die Besetzung der Dienste organisatorisch „sicherzustellen“, jedoch kann er dies mangels eigener Kompetenz zur Personaleinstellung nicht uneingeschränkt steuern. Er kann vielmehr lediglich das ihm zur Verfügung gestellte Personal möglichst optimal einteilen.

Obwohl der Chefarzt den Personalmangel nicht selbst beheben kann, akzeptieren die Behörden, die die Einhaltung des ArbZG überwachen, die Übertragung der Verantwortung auf den Chefarzt im Rahmen des Dienstvertrags. Daher kann der Chefarzt den widerstreitenden Interessen von Patientenversorgung und Einhaltung des ArbZG kaum gerecht werden.

Hinweis auf Verstöße und Personalmangel: So nehmen Chefärzte ihre Verwantwortung wahr

Kann der Chefarzt aufgrund des Personalmangels den Klinikbetrieb nicht ordnungsgemäß aufrechterhalten, muss er ‒ allein aus haftungsrechtlichen Gründen ‒ die Klinikleitung darauf hinweisen, dass mit dem zur Verfügung stehenden Personal die Patientenversorgung nicht gewährleistet werden kann, ohne gegen arbeitszeitgesetzliche Höchstgrenzen zu verstoßen.

Szenario 1: Der Krankenhausträger kooperiert

Nimmt sich der Krankenhausträger der Problematik an, sollte zunächst versucht werden, eine gemeinsame Lösung zu erarbeiten: Hierzu empfiehlt es sich, eine detaillierte schriftliche Bedarfsanalyse zu erstellen, die den Ist- mit dem Sollzustand vergleicht und festhält, welcher Personalbedarf aktuell besteht und zu welchen Zeiten für welche ärztlichen Tätigkeiten wie viel Personal benötigt wird. Auf Grundlage dessen ist anschließend zu planen, wie viel der anliegenden Arbeit anders verteilt werden kann und wie viel zusätzlicher Personalbedarf besteht.

Praxistipp: Ein zusätzlicher Personalbedarf kann z. B. über Zeitarbeitsfirmen gedeckt werden, die sich mittlerweile auch im Gesundheitswesen etablieren. Zudem kann vorhandene Arbeitskraft im rechtlich zulässigen Rahmen durch Delegation umverteilt werden. Dabei verbleibt die Gesamtverantwortung beim Arzt.

Szenario 2: Der Krankenhausträger verweigert die Kooperation

Ist eine gemeinsame Lösung mit dem Krankenhausträger nicht realisierbar, muss sich der Chefarzt auf eine stufenweise eskalierende Auseinandersetzung vorbereiten. Auch hier ist der erste Schritt die Erstellung einer Bedarfsanalyse unter Berücksichtigung des Arbeitszeitgesetzes. Anhand dieser Dokumentation sollte der leitende Klinikarzt seine Geschäftsführung auf den Missstand schriftlich hinweisen. Dabei ist deutlich herauszustellen, dass der Chefarzt weder die Einhaltung des ArbZG mit dem zur Verfügung stehenden Personal sicherstellen noch die Garantie für eine adäquate Patientenversorgung übernehmen kann. Dieser Hinweis sollte verbunden werden mit der Aufforderung, eine für die Patientenzahl ausreichende Anzahl an ärztlichen und nicht ärztlichen Mitarbeitern zur Verfügung zu stellen. Dabei kann der Geschäftsführung ebenfalls mitgeteilt werden, dass auch sie sich eines sog. Organisationsverschuldens schuldig macht.

Praxistipp: Von all diesen schriftlichen Hinweisen und Aufforderungen sollte der Chefarzt eine Kopie bei seinen Unterlagen behalten, um eine juristische bzw. prozessuale Beweissicherung sicherzustellen und sich bei einer eventuellen Überprüfung der Einhaltung der Arbeitszeiten durch das zuständige Ordnungsamt entlasten zu können. Durch eine ordnungsgemäße Dokumentation der genannten Aufforderungen und Hinweise kann er beweisen, dass er alles ihm Mögliche zur Verhinderung von Arbeitszeitverstößen getan hat.

Ultima ratio: Fallzahlanpassung

Sollte die Geschäftsführung auf diese Mitteilungen nicht entsprechend reagieren und somit der Personalmangel weiterhin bestehen bleiben, hat der Chefarzt die Möglichkeit, erste prozessuale Schritte einzuleiten oder ggf. selbstständig die Fallzahlen in der eigenen Abteilung an die Zahl der Mitarbeiter anzupassen, also zu senken. Dazu müsste die Klinikleitung unter angemessener Fristsetzung zunächst zur Abhilfe aufgefordert und die Reduktion der Fallzahlen schriftlich angedroht werden.

Die Reduktion der Fallzahlen kommt infrage, wenn der Chefarzt aufgrund des Personalmangels nicht mehr alle ihm anvertrauten Patienten nach dem medizinischen Standard versorgen kann und sich so in die Gefahr einer Haftung wegen Organisations- oder auch Übernahmeverschuldens begibt. Eine eventuelle Verringerung der Fallzahlen ist auf das minimal Notwendige zu beschränken. Eine nicht erforderliche (Teil-)Schließung der Station kann eine Schadensersatzpflicht des Chefarztes sowie arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zur Kündigung zur Folge haben.

Fazit: Der Chefarzt steht im Konflikt zwischen Patientenversorgung nach Facharztstandard und Arbeitszeitverantwortung. Wie so oft in juristischen Fragestellungen kommt es auch hier letztlich auf den konkreten Einzelfall an. So ist jeweils zu prüfen, wie die vertraglichen Pflichten des Chefarztes konkret ausgestaltet sind und ob er Möglichkeiten hat, einen ArbZG-konformen Personaleinsatz anzuordnen und durchzusetzen. Ist dies nicht der Fall, muss er der Geschäftsführung anhand einer Bedarfsanalyse den konkreten Personalbedarf aufzeigen und sie auffordern, ihm ausreichend Personal zur Verfügung zu stellen. Da für den Ausgang etwaiger streitiger Auseinandersetzungen jeder Schritt gut überlegt und dokumentiert sein sollte, ist dabei eine juristische Begleitung dringend zu empfehlen.

RA, FA ArbR und MedR Marc Rumpenhorst, Kanzlei Klostermann pp., Bochum, klostermann-rae.de und RAin Gesa Toenges

Den Artikel im Deutschen Ärzteblatt finden Sie hier.