Junge Ärzte treffen auf alte Strukturen ‒ chefärztliches Umdenken ist der Königsweg (Teil 2 von 4)

Die junge Generation der Ärzte setzt in den Krankenhäusern gerade eine Revolution in Gang. Sie kommen nicht laut daher, sondern verändern das Krankenhaus still und schleichend. Dieser Wandel ist grundlegend, nachhaltig und unumkehrbar. Es entsteht gerade eine neue Berufskultur des Arztes.

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von Prof. Dr. med. Wolfgang Kölfen, Chefarzt in den Städtischen Kliniken Mönchengladbach

Auf eyefox.com haben wir im ersten Beitrag der Reihe den Chefarzt „alter Schule“ Professor L. kennengelernt, der mit den vermeintlichen Unzulänglichkeiten seiner jungen Ärzte zu kämpfen hat ‒ zu seiner Zeit wäre das nicht vorgekommen!

Das Bewerbungsgespräch ‒ „Ich höre was, was ich nicht verstehe.“ ‒ die Spielregeln ändern sich

Professor L. hat heute ein Bewerbungsgespräch mit einer jungen Kollegin, die er kurz grüßt und dann auffordert: „Stellen Sie sich doch bitte einfach einmal kurz vor.“ „Was wollen Sie denn von mir wissen? Wo soll ich denn anfangen?“, sagt Frau Dr. Bischoff. „Naja, Sie erzählen mir am einfachsten einmal, warum Sie sich speziell bei mir und meiner Klinik beworben haben.“

Professor L. weiß aus den Bewerbungsunterlagen, die er kurz zuvor noch durchgeschaut hatte, dass es sich um eine interessante Bewerberin handelt. Frau Dr. Bischoff hat bereits verschiedene Famulaturen und auch ihr Praxisjahr abgeleistet. Zusätzlich ist sie Krankenschwester, die sich ihr Studium mit Nachtdiensten auf der Neo-Intensiv finanziert hat. Frau Dr. Bischoff erzählt dem Professor, was sie schon alles gemacht hat. Ihre anfängliche Nervosität verliert sie zunehmend.

PROFESSOR L.: Was haben Sie denn für Fragen an mich?

DR. BISCHOFF: Mich würde interessieren, ob Sie ein ausgearbeitetes Ausbildungscurriculum haben, wo genau drinsteht, wie meine Ausbildung zur Fachärztin hier in Ihrer Klinik aussehen wird. Zusätzlich weiß ich von anderen Kliniken, dass man dort als Berufsanfänger einen Mentor bekommt. Wie sieht das bei Ihnen aus? Eine dritte Frage ist: Unterstützen Sie mich, wenn ich wichtige externe Fortbildungen besuchen möchte? Wird das auch vom Haus bezahlt?

PROFESSOR L.: Solche Ausbildungspläne haben wir nicht, weil ich davon nichts halte. Sie können aber sicher sein, dass Sie bei mir eine gute Ausbildung bekommen, wenn Sie sich richtig anstrengen und sich an meine Anweisungen halten. Das hat bei den anderen Ärzten in der Vergangenheit immer gut geklappt. Falls Sie Fragen haben, können Sie sich immer gerne an mich wenden. Über die Sinnhaftigkeit von externen Fortbildungen entscheide ich selbst, sodass Sie da auf der sicheren Seite sind.

DR. BISCHOFF: (ein wenig irritiert) Wie sieht es denn mit einem Hospitationstag in Ihrer Abteilung aus? Ich würde ja schon gerne Ihr Team im Vorfeld einmal kennenlernen.

PROFESSOR L.: Wir haben hier ein ganz tolles Team, davon können Sie einfach ausgehen. Da brauchen Sie nicht hospitieren kommen, dass würde auch zu viel Unruhe in die Abteilung bringen.

DR. BISCHOFF: Ich habe die Möglichkeit, zwischen mehreren Kliniken auszuwählen und ich suche nach guten Argumenten, warum ich gerade zu Ihnen kommen soll. Aus diesem Grunde ist eine solche Hospitation schon für mich sinnvoll, damit ich keinen Fehler bei meiner Entscheidung mache.

Herr L., ich bedanke mich, dass ich Sie heute kennenlernen durfte. Grundsätzlich kommt Ihre Klinik für mich infrage. Ich werde mich in nächster Zeit wieder bei Ihnen melden. Ich muss auch noch schauen, wie ich das hinkriege, dass ich am Donnerstag arbeiten kann, weil ich dann immer Yoga mache. Hierüber müssen wir dann vielleicht noch einmal gesondert sprechen. Vielleicht möchte ich auch nur eine halbe Stelle nehmen.

Austausch unter Kollegen

Mittags hat sich Professor L. mit Professor Dornfeld, dem einem Chefarztkollegen, zum Mittagessen in der Personalcafeteria verabredet. Professor Dornfeld hat erst vor drei Jahren die Abteilung übernommen und innerhalb kurzer Zeit hat er sich einen sehr guten Ruf bei seinen eigenen ärztlichen Mitarbeitern, aber auch bei den niedergelassenen Kollegen erarbeitet.

PROFESSOR L.: Stellen Sie sich einmal vor, was mir heute passiert ist. Eine ärztliche Bewerberin teilt mir zum Abschluss unseres Gesprächs mit, dass Sie erst einmal in Ruhe über mein Stellenangebot in unserer Klinik nachdenken müsse. Nicht ich stelle ein, sondern die Bewerberin möchte diese Entscheidung treffen. Manchmal denke ich, die jungen Kollegen wollen nur ein Praktikum bei mir machen. Was meinen Sie dazu, Herr Kollege?

PROFESSOR DORNFELD: Mein Eindruck ist, die jungen Kollegen wollen schon ärztlich arbeiten, aber zu anderen Bedingungen. Sie wollen arbeiten im Einklang mit ihren eigenen Bedürfnissen. Eine junge Kollegin hat einmal zu mir gesagt: Wir brennen für die ärztliche Tätigkeit, aber nur wenn sie uns gefällt. Wir wollen uns einfach im Job nicht versklaven lassen, so wie es in der Vergangenheit geschehen ist.

Nach dem Mittagessen macht Professor L. seine Privatsprechstunde. In der Regel kommen hier vernünftige Eltern mit gut erzogenen Kindern.

Unterschiedliche Wertevorstellungen am Nachmittag

Um 16:00 Uhr kommt die Assistentensprecherin Frau Dr. Linsenbusch zu ihm. Frau Dr. Linsenbusch ist schon mehrere Jahre im Haus. Grundsätzlich schätzt er sie, weil sie stets einsatzbereit und engagiert ist.

PROFESSOR L.: Nun, Frau Dr. Linsenbusch, ich vermute, was jetzt auf mich zukommt.

DR. LINSENBUSCH: Ich weiß nicht, was Sie meinen, was ich Ihnen jetzt sagen werde. Ich vermute aber, es ist nicht das, was Sie erwarten, Herr Professor L.. Ich muss Ihnen leider Folgendes sagen: Ich schaffe das hier in der Klinik nicht mehr! Ich möchte es auch nicht mehr, Dienste am Wochenende machen, die eine Dauer von 12 Stunden haben. Zusätzlich zu den 12-Stunden-Diensten habe ich noch eine einstündige Hin- und Rückfahrt, sodass ich in der Regel mehr als 14 Stunden an diesen Diensttagen unterwegs bin. Unter welchen Bedingungen wir hier in dieser Klinik arbeiten, ist nicht mehr menschenwürdig. Andere Kliniken haben sich da längst an die Bedürfnisse der Assistenzärzte angepasst.

Wir haben dieses Thema auch schon im Team besprochen, und alle sind der Meinung, dass sich hier etwas tun muss. Das gesamte Team hat mich beauftragt, Sie hiervon in Kenntnis zu setzen. Wir erwarten von Ihnen, dass Sie das möglichst rasch ändern. Wir haben außer unserem Job in der Klinik auch noch den Wunsch nach Selbstverwirklichung. Zusätzlich benötigen wir mehr Zeit für Familie und Freunde, und wir brauchen mehr Flexibilität. Selbstverständlich sind wir gerne bereit, engagiert zu arbeiten, aber wir benötigen eine neue, zeitgemäße Struktur unserer Arbeitszeiten.

PROFESSOR L.: (sichtlich erstaunt) Ich bin total überrascht und entsetzt. So etwas hat noch nie eine Ärztin in meiner Klinik zu mir gesagt. Ich bin der Überzeugung, dass sie alle froh sein können, dass Sie in einer so tollen und renommierten Klinik Ihre Facharztweiterbildung machen dürfen. Ich bin schließlich dafür verantwortlich, dass Sie alle eine gute medizinische Ausbildung bekommen, und die gibt es nun einmal nicht in einem 8-Stunden-Tag. Handouts für Ihre Ausbildung, Curricula und Stationsanweisungen helfen nichts, wenn sie nicht Erfahrungen am Patienten machen und sich voll reinhängen.

DR. LINSENBUSCH: Ich glaube, zwischen Ihren und unseren Wertevorstellungen bestehen grundsätzliche Unterschiede. Unsere Berufstätigkeit soll uns Anerkennung bringen, und wir wollen bei der Arbeit Spaß haben. Zusätzlich wünschen wir uns Einfluss auf Entscheidungen. Meine Berufstätigkeit bedeutet mir viel und ich möchte dennoch nicht auf ein gutes Leben verzichten.

PROFESSOR L.: (begreift, dass weiteres Sprechen hier keinen Sinn ergibt, steht auf und öffnet seine Tür) Ich bin geschockt von Ihrem Egobedürfnis, schließlich machen wir Medizin für Patienten und deren Eltern. Es ist unsere Pflicht, diese Patienten gut zu versorgen. Unsere eigenen Bedürfnisse müssen wir einfach zurückstellen. Frau Dr. Linsenbusch, ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag. Sie werden von mir hören.

Fortsetzung folgt …