Schweigepflicht steht der Meldung bei Coronapatienten nicht entgegen

von RA, FA für MedizinR Dr. Tobias Scholl-Eickmann, Kanzlei am Ärztehaus, Dortmund, kanzlei-am-aerztehaus.de Das Coronavirus prägt derzeit den Gesundheitssektor und wirft eine Vielzahl neuer Probleme auf. So hat etwa ein selbst infizierter Hausarzt in Bayern dem Gesundheitsamt eine Liste aller Patienten übergeben, die er in den vorangehenden Tagen behandelt hatte. Darin liegt kein Verstoß gegen die ärztliche Schweigepflicht, doch in diesem Kontext stellen sich ...

Schweigepflicht steht der Meldung bei Coronapatienten nicht entgegen

von RA, FA für MedizinR Dr. Tobias Scholl-Eickmann, Kanzlei am Ärztehaus, Dortmund, kanzlei-am-aerztehaus.de

Das Coronavirus prägt derzeit den Gesundheitssektor und wirft eine Vielzahl neuer Probleme auf. So hat etwa ein selbst infizierter Hausarzt in Bayern dem Gesundheitsamt eine Liste aller Patienten übergeben, die er in den vorangehenden Tagen behandelt hatte. Darin liegt kein Verstoß gegen die ärztliche Schweigepflicht, doch in diesem Kontext stellen sich einige weitere Fragen, u. a. auch für die Ermächtigungs- bzw. die Privatambulanz.

Ärztliche Schweigepflicht

Die ärztliche Schweigepflicht ist zentral für das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient. Ärzte haben über das, was ihnen in ihrer Eigenschaft als Arzt anvertraut oder bekannt geworden ist, zu schweigen. Die ärztliche Schweigepflicht zählt zum Kernbereich der ärztlichen Tätigkeit und hat gesetzliche Verankerung in verschiedener Form gefunden, etwa in § 9 (Muster-)Berufsordnung-Ärzte oder § 203 Strafgesetzbuch (StGB).

Durchbrechung der Schweigepflicht

Die ärztliche Schweigepflicht kann und darf durchbrochen werden. Dies ist der Fall,

  • wenn der Patient eine entsprechende Einwilligung erteilt,
  • wenn gesetzliche Vorschriften dem Arzt eine
    • Offenbarungspflicht auferlegen oder eine
    • Offenbarungsbefugnis einräumen.
  • Zudem kann in sonstigen Ausnahmefällen im Wege des gesetzlichen Notstands eine Preisgabe von patientenbezogenen Informationen zulässig sein.

Eine gesetzliche Offenbarungspflicht folgt beispielsweise aus dem Infektionsschutzgesetz (IfSG). Zunächst wurde vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) die Meldepflicht, die nach § 6 IfSG gilt, in einer Rechtsverordnung auf Infektionen mit dem erstmals im Dezember 2019 in Wuhan (China) aufgetretenen neuartigen Coronavirus („2019-nCoV“) ausgeweitet.

Ärzte sind daher verpflichtet, alle begründeten Verdachts-, Krankheits- und Todesfälle im Zusammenhang mit dem Coronavirus dem örtlichen Gesundheitsamt zu melden. Um einen meldepflichtigen „begründeten Verdachtsfall“ handelt es sich laut Robert-Koch-Institut (RKI), wenn die Person Kontakt zu einem bestätigten Fall hatte oder innerhalb der letzten 14 Tage in einem vom RKI genannten Risikogebiet gewesen ist und Symptome wie Fieber, Heiserkeit, Husten oder Atemnot aufweist. Alle anderen Verdachtsfälle sind derzeit nicht zu melden (Stand: 19.03.2020). 

Die Meldung, die innerhalb von 24 Stunden zu erfolgen hat, umfasst gemäß § 9 IfSG unter anderem Angaben wie

  • den Namen und
  • die Kontaktdaten der betroffenen Person sowie
  • die wahrscheinliche Infektionsquelle inkl. der zugrunde liegenden Tatsachen.

Behörden treffen ggf. Maßnahmen

Werden Tatsachen festgestellt, die zum Auftreten einer übertragbaren Krankheit wie im Fall des Coronavirus führen können, so trifft die zuständige Behörde nach § 16 IFSG die notwendigen Maßnahmen zur Abwendung der drohenden Gefahren. Die hierbei erhobenen personenbezogenen Daten dürfen nur für Zwecke des Infektionsschutzes verarbeitet werden.

Merke:  Den Behörden und Gesundheitsämtern ist es in den entsprechenden Fällen auch möglich, zur Durchführung von Ermittlungen und zur Überwachung der angeordneten Maßnahmen Grundstücke, Räume, Anlagen und Einrichtungen sowie Verkehrsmittel aller Art zu betreten und Bücher oder sonstige Unterlagen einzusehen. Sie dürfen Abschriften, Ablichtungen oder Auszüge anfertigen sowie sonstige Gegenstände untersuchen oder Proben zur Untersuchung fordern oder entnehmen. Das kann im Einzelfall auch auf eine Ambulanz zutreffen.

Sind auch bekannt gewordene Kontaktpersonen zu melden?

Weiter müssen Personen, die über Tatsachen, die zum Auftreten einer übertragbaren Krankheit führen können, Auskunft geben können, die erforderlichen Auskünfte insbesondere über den Betrieb und den Betriebsablauf erteilen (§ 16 Abs. 2 S. 3 IfSG). Daraus wird von einigen Stellen gefolgert, dass auch über die bekannt gewordene Identität von Kontaktpersonen eines Coronapatienten Auskunft gegeben werden muss. Angaben über den Kontaktanlass (z. B. Patienten- oder Mandatsbeziehung, Geschäftskontakt) oder über Inhalte der Kommunikation bräuchten demnach nicht mitgeteilt zu werden.

Ob eine solche Pflicht unmittelbar aus § 16 IfSG folgt, ist fraglich. Anerkannt ist aber, dass bei gefährlichen übertragbaren Krankheiten je nach Lage des Einzelfalls aus § 34 StGB (Notstand) eine Offenbarungsbefugnis gegenüber Kontaktpersonen und auch Behörden hergeleitet werden kann, wenn der an sich schweigepflichtige Arzt die Ansteckungsgefahr nicht auf anderem Wege ‒ insbesondere auch nicht durch sachgerechte Unterrichtung und Unterweisung des Patienten oder durch die gesetzlich vorgesehenen Maßnahmen (z. B. nach dem IfSG) ‒ abwenden kann. Vor diesem Hintergrund ist die Benennung der Kontaktpersonen bzw. im eingangs geschildert Fall des coronaerkrankten Hausarztes die Mitteilung der kürzlich behandelten Patienten jedenfalls gerechtfertigt.

Praxistipp: Soweit die ärztliche Schweigepflicht durchbrochen ist, soll der Patient gleichwohl darüber informiert werden (§ 9 Abs. 3 (Muster-)Berufsordnung).

Fazit: Das Coronavirus wird uns weiter in Atem halten und eine Vielzahl von Fragen aufwerfen, die bislang noch nicht gestellt werden mussten. Diese Extremsituation wird nur mit vereinten Kräften zu stemmen sein. Es bleibt zu hoffen, dass auch das (Medizin-)Recht ausreichend Pragmatismus eröffnet.