Bertelsmann Studie – Auswirkungen auf die augenärztliche Versorgung

Ergebnis der Simulation der Studie für die Augenheilkunde in der gewählten Region: Fallzahlenrückgang um 37% bis 2030

Bertelsmann Studie –  Auswirkungen auf die augenärztliche Versorgung

Krankenhauslandschaft im Umbruch

von Dr. med. Marianne Schoppmeyer, Ärztin und Medizinjournalistin, www.medizinundtext.de, Nordhorn

Eine Studie im Auftrag der Bertelsmann Stiftung hat im Juli dieses Jahres für Diskussionsbedarf gesorgt. Danach wären Patienten in Deutschland besser versorgt, wenn die Zahl der Kliniken drastisch reduziert werden würde. Jede zweite Klinik könne laut der Studie geschlossen werden. Untermauert werden die Zahlen mit einer Modellrechnung für die Region Köln/Leverkusen. Im Folgenden ein kurzer Blick auf die Studie, die Kritik daran sowie abschließend der Kommentar eines Chefarztes.

Qualitätsverbesserung durch Klinikschließungen?

Eine starke Verringerung der Klinikzahl von aktuell knapp 1.400 auf deutlich unter 600 Häuser würde laut der Studie die Versorgungsqualität für Patienten verbessern und bestehende Engpässe bei Ärzten und Pflegepersonal mildern. Viele Krankenhäuser in der Bundesrepublik Deutschland seien zu klein und verfügten oftmals nicht über die nötige Ausstattung und Erfahrung, um lebensbedrohliche Notfälle angemessen zu behandeln. “Wenn ein Schlaganfallpatient die nächstgelegene Klinik nach 30 Minuten erreicht, dort aber keinen entsprechend qualifizierten Arzt und nicht die medizinisch notwendige Fachabteilung vorfindet, wäre er sicher lieber ein paar Minuten länger zu einer gut ausgestatteten Klinik gefahren worden“, so Brigitte Mohn, Vorstand der Bertelsmann Stiftung.

Das Berliner Institut für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES) ist im Auftrag der Bertelsmann Stiftung der Frage nachgegangen, wie eine Versorgung durch Kliniken aussähe, die sich nicht in erster Linie an einer schnellen Erreichbarkeit, sondern an Qualitätskriterien orientiert. Qualitätskriterien sind in diesem Zusammenhang beispielsweise eine gesicherte Notfallversorgung, eine Facharztbereitschaft rund um die Uhr, ausreichend Erfahrung und Routine des medizinischen Personals sowie eine angemessene technische Ausstattung. Für die Studie haben deutsche Krankenhausexperten in einem ersten Schritt ein Zielbild für Deutschland entwickelt, das sich an den benannten Qualitätskriterien orientiert.

In einem zweiten Schritt berechnete das IGES in einer Simulation, wie sich diese Vorgaben auf die Kliniklandschaft des Großraums Köln/Leverkusen, der sowohl städtisch als auch ländlich geprägte Regionen aufweist, auswirken würde. Mithilfe dieser Simulation kamen die Wissenschaftler zu dem Schluss, dass die Region mit 14 statt den aktuell 38 Akutkrankenhäusern eine bessere Versorgung bieten könne, ohne dass die Patienten im Durchschnitt viel längere Fahrzeiten in Kauf nehmen müssten. Die Bündelung von medizinischem Personal und Gerät würde zu einer höheren Versorgungsqualität in den verbleibenden Häusern beitragen, vor allem in der Notfallversorgung und bei planbaren Operationen, so die Forscher weiter.

ambulante-behandlung-bei-klinikpatienten.jpg (70 KB)Auswirkungen auf die augenärztliche Versorgung

In der Region, die für die Simulation ausgewählt wurde, ging man von aktuell 38 (nichtpsychiatrischen) Krankenhäusern aus, von denen 6 über eine Fachabteilung für Augenheilkunde verfügten (mit knapp 10.500 Fällen im Jahr 2017). ­Ergebnis der Simulation war eine Reduzierung der Fachabteilungen auf 4 (mit 66 Betten) und der Fallzahlen um 37 % auf gut 6.500 im Jahr 2030. Einen noch größeren Fallzahlrückgang würde es nach den Vorstellungen des IGES nur in der Psychiatrie geben (43 %). Hier stellt sich die Frage, ob die 4.000 sich erübrigenden Fälle alle von niedergelassenen Augenärzten versorgt werden könnten.

Kritik von Berufsverbänden und BÄK

Diese Zahlen rufen zunächst einmal Kritik hervor. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG), die Bundesärztekammer (BÄK) und der Marburger Bund warnen vor einer Zerstörung der sozialen Infrastruktur. Es wird auf die Bedeutung einer wohnortnahen Gesundheitsinfrastruktur verwiesen.

So äußert sich der Präsident der DKG Dr. Gerald Gaß: „Hinter der Zentralisierung, die die Bertelsmann Stiftung vorschlägt, steht die Einschätzung, dass die medizinische Versorgungsqualität nur in Großkrankenhäusern gut bzw. besser werden könnte. Das ist eine absolut unbelegte Einschätzung. Wir messen seit Jahren anhand vieler Indikatoren die Qualität der medizinischen Versorgung. Mit wenigen Ausnahmen bestätigt der G-BA Jahr für Jahr allen an dem Verfahren beteiligten Kliniken ein hohes Qualitätsniveau. Wo einzelne Kliniken Qualitätsdefizite haben, finden Interventionen statt“. Ein großer Teil des stationären medizinischen Versorgungsbedarfs brauche laut der DKG zudem keine Spezialisierung. Es handele sich um Leistungen der medizinischen Grundversorgung, wie Geburten, um viele auch altersbedingte Krankheitsbilder der Inneren Medizin, viele neurologische Krankheitsbilder sowie den steigenden geriatrischen Versorgungsbedarf in einer alternden Gesellschaft. Dies seien Behandlungen, die möglichst familien- und wohnortnah in erreichbaren Krankenhäusern erbracht werden müssten.

Auch der Marburger Bund kritisiert, dass keine Veränderung der Krankenhauslandschaft im Sinne einer profitorientierten Konzernbildung benötigt werde. Vielmehr seien deutlich erhöhte Investitionen in Krankenhäuser für Umstrukturierungen, neue Technologien und Digitalisierung notwendig, um eine gute stationäre Versorgung sicherzustellen. Dazu sei es dringend erforderlich, dass die Länder ihrer Investitionsverpflichtung vollumfänglich nachkommen würden. Für die Implementierung neuer digitaler Technologien sei zusätzlich der Einsatz von Bundesmitteln unabdingbar.

Bundesärztekammerpräsident Dr. Klaus Reinhardt erklärte zur Studie: „Die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission "„Gleichwertige Lebensverhältnisse“ hat gerade erst die Bedeutung der Daseinsvorsorge und Sicherung einer gut erreichbaren, wohnortnahen Gesundheitsinfrastruktur herausgestellt und das Bundesgesundheitsministerium die Förderung von 120 kleineren Kliniken bundesweit beschlossen. Da ist es schon mehr als befremdlich, wenn die Bertelsmann Stiftung jetzt pauschal die Schließung von 800 Krankenhäusern fordert. [...] Gerade im ländlichen Raum müssen wir die flächendeckende Versorgung der Patienten sicherstellen. Deshalb müssen wir mehr als bisher die sektorübergreifende Versorgung gemeinsam mit den niedergelassenen Ärzten ausbauen. [...] Wer auch immer [...] den Krankenhaussektor verändern will, muss dem grundgesetzlichen Auftrag der Daseinsvorsorge, der Gleichheit der Lebensverhältnisse und dem Feuerwehr-Prinzip der Krankenhäuser im Katastrophenfall gerecht werden. Auch wenn wir die Zahl der Krankenhäuser reduzieren, reduzieren wir dadurch ja nicht die Zahl der Behandlungsfälle.“