Klug entscheiden: Warum bei Glaukom weniger Diagnostik und Therapie manchmal mehr ist

In der modernen Augenheilkunde stehen uns beim Glaukom viele diagnostische Verfahren und differenzierter Therapieoptionen zur Verfügung. Doch nicht jede technologische Möglichkeit bedeutet automatisch einen medizinischen oder patientenzentrierten Fortschritt. Ein Statement von Professor Dr. Verena Prokosch, Professur für Glaukomerkrankungen und Leiterin der Arbeitsgruppe Experimentelles Glaukom, Zentrum für Augenheilkunde, Universitätsklinikum Köln, anlässlich des DOG-Kongresses in Berlin.

Francisco Bengoa / Flickr
Francisco Bengoa / Flickr

Gerade bei chronischen, langsam progredienten Erkrankungen wie dem primären Offenwinkelglaukom ist es wichtig, diagnostische und therapeutische Maßnahmen gezielt, individualisiert und evidenzbasiert einzusetzen. Wiederholte bildgebende Untersuchungen ohne klinisch relevante Fragestellung, unnötig engmaschige Kontrollen oder voreilige Eskalationen der Therapie können zu Verunsicherung bei Patient*innen führen, die Arzt- Patienten-Beziehung belasten und gesundheitssystemische Ressourcen binden – ohne nachweislichen Nutzen. Auch in der Glaukomtherapie gilt der Leitsatz: so viel wie nötig, so wenig wie möglich. Die Therapie erfordert eine Behandlung mit Augenmaß, Geduld und ein differenziertes Risiko-Nutzen-Abwägen.

Gerade in stabilen Fällen, bei älteren Patient*innen mit begrenzter Progressionswahrscheinlichkeit oder bei nur mildem Druckanstieg, kann ein kontrolliertes Beobachten („Watchful Waiting“) der bessere therapeutische Weg sein. Auch der langfristige Therapieerfolg hängt oft mehr von Adhärenz, Lebensqualität und Nebenwirkungsfreiheit ab als von Maximaldrucksenkung um jeden Preis.

„Klug entscheiden“ heißt hier: individuelle Risikoeinschätzung, partizipative Therapieplanung und kritisches Überdenken der eigenen Interventionsfreude. Nicht jede Progression ist therapiepflichtig – und nicht jede Therapie ist sinnvoll.

Ein zurückhaltender, aber aufmerksamer Umgang mit Diagnostik und Therapie bedeutet nicht Passivität, sondern reflektierte Entscheidung im Sinne des Patientenwohls. „Klug entscheiden“ heißt, den Verlauf objektiv zu bewerten, funktionelle und strukturelle Parameter im Kontext zu interpretieren und den individuellen Risikoprofilen Vorrang vor pauschalen Algorithmen zu geben.

 Insbesondere in stabilen Verlaufsphasen, bei normwertigem Augendruck oder in Fällen mit begrenzter Lebenserwartung kann ein Verzicht auf invasive Maßnahmen oder aufwendige Verlaufsdiagnostik nicht nur vertretbar, sondern sinnvoll sein.

Weniger kann in der Glaukomdiagnostik und -therapie also tatsächlich mehr sein – wenn es von klinischer Erfahrung, wissenschaftlicher Evidenz und patientenzentriertem Handeln getragen wird.

Weniger Therapie kann beim Glaukom manchmal mehr Lebensqualität und mehr Augenmaß bedeuten.