Neue Krebsmedikamente und -behandlungen: Was tun bei Nebenwirkungen am Auge?

Eine der rasantesten Entwicklungen in der Medizin hat in den letzten Jahren die Krebstherapie durchlaufen. Die teils äußerst positiven therapeutischen Effekte gehen allerdings auch mit Nebenwirkungen einher, die unter anderem auch die Augen betreffen können. Ein Statement von Professor Dr. Philipp Steven, Leiter des Kompetenzzentrums okuläre Graft-versus-Host Disease, Zentrum für Augenheilkunde, Universitätsklinikum Köln anlässlich des DOG-Kongresses in Berlin.

Neue Krebsmedikamente und -behandlungen: Was tun bei Nebenwirkungen am Auge?

So sind toxische Effekte durch neuartige Antikörper-Wirkstoff-Konjugate (Antibody- Drug Conjugates, ADCs) seit wenigen Jahren in Form von unter anderem mikrozystischen Veränderungen des Hornhautepithels beschrieben worden [1] Diese Veränderungen führen zu teils schweren Sehverschlechterungen, die zum Abbruch der Krebstherapie führen können. Oft kommt es dann nach Absetzen der Krebstherapie zu einer Erholung der Augen.

Da diese neuen Nebenwirkungen die Lebensqualität der Patienten erheblich einschränken können und zudem große Ängste vor einer Erblindung verursachen, sind augenärztliche Kontrollen vor und während der ADC-Therapie medizinisch sinnvoll und von den Zulassungsbehörden auch vorgeschrieben.

Noch handelt es sich um eine relativ geringe Zahl an Patienten, die aktuell oft innerhalb von Studien oder sogenannten Compassionate-Use-Programmen behandelt werden. In Zukunft ist aber zu erwarten, dass viele unterschiedliche onkologische Entitäten mit ADCs oder anderen Immuntherapien behandelt werden.

Hieraus resultieren folgende Fragen und Herausforderungen:

1. Wie können betroffene Patienten und behandelnde Onkologen die vorgeschriebenen Augenuntersuchungen vor einer Erst- und Folgegabe eines Medikaments sicherstellen?

2. Wie können Termine sehr zeitnah (es handelt sich um lebensbedrohliche Erkrankungen) organisiert und durchgeführt werden?

3. Wie kann eine entsprechende Qualifikation der Untersucher gewährleistet werden?

4. Welche Versorgungsformen und Kooperationsmöglichkeiten nehmen an der Versorgung teil (Klinik, ASV, MVZ oder Ähnliches)?

5. Wie werden die zusätzlichen Kontrollen vergütet?

Okuläre Nebenwirkungen durch onkologische Therapien sind schon lange bekannt. Chemotherapien, Bestrahlungen und antihormonelle Substanzen können Schädigungen von Netzhaut/Sehnerv, Blutgefäßen, Tränen- und Meibom-Drüsen verursachen [5, 6, 7, 8]. Weiterhin sind okuläre Nebenwirkungen nach zellulären Therapien wie nach allogener Blutstammzelltransplantation (aSZT) und neuerdings CAR-T-Zelltherapien beschrieben worden. Nach aSZT zur Behandlung von Blutkrebserkrankungen kommt es dabei in bis zu 60 Prozent der Fälle zu einer okulären Abstoßungsreaktion (siehe okuläre Graft-versus-Host- Erkrankung), die unbehandelt schwer verlaufen und zur Erblindung führen kann [4].

Ein Leichtes wäre es im Hinblick auf die neuen, vielversprechenden Therapien, auf bereits etablierte Vor- und Nachsorgestrukturen zurückgreifen zu können. Leider sind diese jedoch nicht flächendeckend etabliert. Als Beispiel: In Deutschland werden jedes Jahr circa 4.000 Knochenmarktransplantationen (KMT) vor allem bei Blutkrebserkrankungen durchgeführt. Hiervon entwickeln 1.000 bis 1.200 Patienten eine behandlungsbedürftige, schwere Augennebenwirkung, wobei alle transplantierten Patienten zumindest 2 Jahre nach der aSZT nachkontrolliert werden müssen. Mehrfache Umfragen ergaben, dass nur ein Bruchteil (10 bis 20 Prozent) der insgesamt 10 bis 15.000 Betroffenen in spezialisierten Zentren versorgt wird [2, 3].

Diese Situation, so unbefriedigend sie ist, birgt zahlreiche Chancen. Die vielversprechenden Entwicklungen der onkologischen Therapie fordern die Augenheilkunde heraus, sich proaktiv mit Lösungsansätzen zu beschäftigen, um so die Versorgung selbst auszugestalten und an Weiterentwicklungen aktiv teilzunehmen. Da es sich in den allermeisten Fällen um erwartbare Veränderungen handelt, ist eine Planung der Untersuchungslogistik vergleichsweise einfach. Folgende kurz-, mittel- und langfristige Maßnahmen müssen diskutiert werden:

Kurzfristig: Übernahme der augenärztlichen Untersuchungen in Zentren und Praxen, die bereits an entsprechenden Studien teilnehmen oder über eine enge Verzahnung zwischen Onkologen und Ophthalmologen verfügen. Exzellenzzentren wie das Centrum für Integrierte Onkologie in Köln können hier eine Vorreiterfunktion einnehmen.

Mittelfristig: Augenärztliche Praxen sollen im Rahmen von Schwerpunktprogrammen (Stichwort ASV) eine Versorgung onkologischer Patienten übernehmen. Dort kann sich auch eine entsprechende Expertise entwickeln und eine niedrigschwellige Kommunikationsstruktur zwischen Augenheilkunde und Onkologie aufrechterhalten werden.

Langfristig: Neue Entitäten von okulären Nebenwirkungen durch onkologische Therapien müssen in das Curriculum der Facharztausbildung Einzug halten und zum Grundwissen werden. Spezialisierte Zentren können hier durch zum Beispiel Fellowship-Programme entsprechende Spezialisten, die gegebenenfalls auch wissenschaftlich tätig sind und an der zukünftigen Entwicklung onkologischer Therapien direkt beteiligt sind, ausbilden.

Zwingende Voraussetzung für eine zügige Entwicklung in diese Richtung ist die finanzielle Ausgestaltung der zusätzlichen Aufgaben. Die zu erwartenden Beträge sind in Anbetracht der teils enormen Therapiekosten von mehreren Hunderttausend Euro pro Jahr fast verschwindend gering, müssen aber entsprechend kalkuliert, begründet und verhandelt werden. Mögliche bestehende Vergütungsstrukturen wie „Besondere Versorgungsverträge, früher integrierte Versorgung, IV“ oder die „ambulante spezialärztliche Versorgung, ASV“ können erste Vehikel für derartige Verhandlungen mit den Kostenträgern sein.

Ein Fachgespräch mit Prof. Steven zum Thema okuläre Graft-versus-Host-Disease (GvHD) sehen Sie hier:

Literatur:

1. Dominguez-Llamas S, Caro-Magdaleno M, Mataix-Albert B et al. (2023). Adverse events of antibody-drug conjugates on the ocular surface in cancer therapy. Clin Transl Oncol 25(11):3086-3100

2. Eberwein P, Dietrich-Ntoukas T, Westekemper H et al. (2015). [Patient-Centred Care of Ocular Graft-vs-Host Disease in Germany]. Klin Monbl Augenheilkd 232(5):664- 668

3. Faust C, Dietrich-Ntoukas T, Steven P (2020). [Second Survey on Patient-centred Care of Ocular Graft-versus-Host Disease in Germany]. Klin Monbl Augenheilkd 237(11):1353-1357

4. Kitko CL, Pidala J, Schoemans HM et al. (2021). National Institutes of Health Consensus Development Project on Criteria for Clinical Trials in Chronic Graft-versus-Host Disease: IIa. The 2020 Clinical Implementation and Early Diagnosis Working Group Report. Transplant Cell Ther 27(7):545-557

5. Kunkler AL, Binkley EM, Mantopoulos D et al. (2019). Known and novel ocular toxicities of biologics, targeted agents, and traditional chemotherapeutics. Graefe's archive for clinical and experimental ophthalmology = Albrecht von Graefes Archiv für klinische und experimentelle Ophthalmologie 257(8):1771-1781

6. Stoicescu EA, Iancu RC, Popa Cherecheanu A et al. (2023). Ocular adverse effects of anti-cancer chemotherapy. J Med Life 16(6):818-821

7. Thurau S, Wildner G, Gamulescu MA (2023). [Ocular side effects of modern oncological therapy : Immunological checkpoint and MEK/BRAF signal transduction inhibitors]. Ophthalmologie 120(5):559-573 8. Vishnevskia-Dai V, Rozner L, Berger R et al. (202