Indikation und Dokumentation: OLG Frankfurt zur Katarakt-Chirurgie
In einem aktuellen Verfahren prüfte das Oberlandesgericht Frankfurt die medizinische Notwendigkeit einer Katarakt-Operation und den Einsatz von Trifokallinsen. Dabei ging es auch um die Bedeutung einer präzisen Behandlungsdokumentation für Augenärzte im Umgang mit Patienten und Versicherungen.
Der Fall
Die Patientin und spätere Klägerin litt unter Hypertonie, Astigmatismus und Presbyopie. Sie gibt an, auch unter beidseitiger Katarakt zu leiden. Letzteres bestreitet die Beklagte, bei der die Klägerin privat krankenversichert ist.
Im Jahr 2016 wurde die Klägerin bei der Augenärztin X an beiden Augen operiert. Ihr wurden zwei Trifokal-Intraokularlinsen implantiert. X berechnete hierfür und für Vor- und Nachuntersuchungen einen Betrag von 5.676,66 €, wobei sie mehr als den 2,3fachen Satz abrechnete. Die Mehrkosten für die Trifokal-Intraokularlinsen gegenüber Standardlinsen betrugen 1.197,60 €.
Die Versicherung bestritt die Erforderlichkeit der Operation und des Linseneinsatzes und verweigerte die Bezahlung der Rechnung des Augenarztes.
Argumente der klagenden Patientin:
- Visuswerte von nur 0,5 bis 0,63 auf beiden Augen durch die Katarakt
- und auch eine erhebliche Blendungsempfindlichkeit
- Eintrag in Dokumentation: „V.a. beg. Kapseltrübung“, verengter Kammerwinkel und „faserige Linse“
Gegenargumente der beklagten Versicherung:
- Visus von 0,8 und 1,0
- Visuseinschränkungen und Blendempfindlichkeit seien nicht dokumentiert (Fehlen einer klaren Beschreibung einer Linsentrübung und fehlende Benennung der durchgeführten Diagnoseschritte
- es habe keine Katarakt vorgelegen
- Katarakt-OP sei nicht indiziert gewesen
- Brillenversorgung sei vorrangig
- keine Indikation für Trifokallinsen
Die Patientin klagte auf Zahlung.
Das Landgericht Wiesbaden zog einen Sachverständigen zu Rate und wies die Klage auf Zahlung von 5.676,66 € als unbegründet ab. Denn die Operation sei nicht indiziert gewesen. Es habe keine nachweisbare Funktionsbeeinträchtigung vorgelegen.
Gegen diese Entscheidung zog die Patientin vor das Oberlandesgericht Frankfurt.
Die Entscheidung
Das Oberlandesgericht gab der Klägerin überwiegend Recht und sprach ihr die begehrten Gebühren zu, allerdings nur den 2,3fachen Steigerungssatz.
Das Oberlandesgericht sah zwar die Behandlungsdokumentation als unvollständig an. Aus Sicht des Gerichts war nicht klar zu unterscheiden, ob die Katarakt eine Verdachtsdiagnose oder ein gesicherter Befund war. Aus Sicht des Gerichts war deshalb unklar, wie der Diagnoseprozess vom Arzt gestaltet wurde und welche Wahrnehmungen er gemacht hat.
Deshalb vernahm das Gericht ausnahmsweise die Augenärztin als Zeugin. Denn die Beschränkung des Beweises auf die Behandlungsdokumentation könne nicht gelten, wenn wie hier die Behandlungsdokumentation „dürftig und unvollständig“ ist oder es um die Feststellung der im Einzelnen durchgeführten Untersuchungen oder Äußerungen des Patienten gehe.
Zudem zog das Gericht einen weiteren Sachverständigen zu Rate.
Die Augenärztin X erläuterte dem Gericht im Einzelnen die Diagnoseschritte und -methoden:
- Einsatz der Spaltlampe
- Weitstellung mittels Mydriatika
- Patientin gab an, unter Blendungen und Seheinschränkungen zu leiden
Das Gericht stellte nach Befragung der Augenärztin fest, dass die Patientin an einer Katarakt litt und damit krank im Sinne der Versicherungsbedingungen war.
Das Gericht war weiter der Ansicht, dass der operative Linsentausch medizinisch notwendig war. Denn dieser war die geeignete Therapie.
Auch der Einsatz der Trifokallinsen sei gerechtfertigt, denn:
- eine Linsentrübung war festgestellt
- subjektive Sehbeschränkungen wie auch Blendempfindlichkeit seien von der Patientin berichtet worden
- solche subjektiven Beschwerden seien auch ausreichend
- bei gleichzeitig vorliegender Katarakt und unkorrigierten Refraktionsfehlern, wie bei der Klägerin der Fall, Hyperopie und Astigmatismus, könne die Implantation multifokaler Kunstlinsen aus Sicht des Sachverständigen sinnvoll sein, da diese die Refraktionsfehler korrigieren könnten.
Gegenüber der Brillenversorgung sei die Linseneinsatz vorzugswürdig. Denn die Heilbehandlung sei nicht nachrangig gegenüber dem Hilfsmittel Brille, da die Hilfsmittelfreiheit gerade Ziel der Behandlung sein könne.
Praxisanmerkung
Die Entscheidung verdeutlicht, dass der Augenarzt gehalten ist, die medizinische Situation des Patienten vor der Operation umfassend und möglichst eindeutig zu dokumentieren. Dies sind:
- präzise Angaben zum Visus
- präzise Beschreibung von Visusbeschränkungen und Blendempfindlichkeiten
- Beschreibung der Behandlungsschritte (Spaltlampe, Mydriatika etc.)
Je präziser der Augenarzt in Fällen, deren medizinische Notwendigkeit möglicherweise von der Versicherung kritisch gesehen werden kann, die Untersuchung und Befunde dokumentiert, desto eher erspart er sich einen Rechtsstreit und wie hier die spätere Pflicht zur Zeugenaussage vor Gericht.
Es ist für alle Beteiligten hilfreich, wenn der Augenarzt den Patienten vor der Operation einen Kostenvoranschlag übergibt, in dem die Indikation und die wesentlichen Behandlungsschritte sowie deren voraussichtliche Kosten benannt sind. Der Patient soll dann diesen Kostenvoranschlag seiner Versicherung übergeben und um schriftliche Kostenübernahme bitten. Sollte die Versicherung dann noch Bedenken haben, so können diese vor einer Operation ausgeräumt werden, indem der Augenarzt die Indikation erforderlichenfalls näher erläutert. Dies verschafft allen Beteiligten Rechtssicherheit und erspart zeitaufwändige Rechtsstreitigkeiten. Dieses Vorgehen schneidet dem Patienten im Übrigen auch die Möglichkeit ab, die Bezahlung der Rechnung und der Hinweis auf eine Verletzung der wirtschaftlichen Aufklärungspflicht zu verweigern.
Für den Augenarzt wäre es sinnvoll, wenn er in strittigen Fällen einen Kostenvorschuss erhält. Ein solcher ist in der Gebührenordnung für Ärzte allerdings nicht vorgesehen. § 12 GOÄ stellt vielmehr fest, dass die Vergütung erst nach Rechnungsstellung fällig ist. Die Vergütung ist nach § 614 BGB erst nach Erhalt der Dienstleistung fällig. Die Rechtsprechung akzeptiert daher Kostenvorschüsse regelmäßig nur in Einzelfällen, wie zum Beispiel wenn ein Patient bereits vorherige Rechnungen nicht zahlte (vgl. LG Münster, Urteil vom 13. Juli 2016 – 12 O 359/15 - juris). Ist sich der Arzt wegen bestehender oder voraussehbarer Konflikte zwischen der Versicherung und dem Patienten unsicher, ob die Rechnung bezahlt wird, sollte er gleichwohl versuchen, einen Vorschuss zu erhalten. In einem solchen Fall besteht ja auch ein sachlicher Grund für die Zahlung eines Vorschusses. Diese Befürchtung der Nichtzahlung der Rechnung als Grund der Vorschussforderung sollte kurz in der Dokumentation vermerkt werden. Dann ist die Forderung eines Vorschusses regelmäßig auch berufsrechtlich unbedenklich.
(OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 2.7.2025 - 7 U 40/21)
Von Rechtsanwalt Philip Christmann, Fachanwalt für Medizinrecht, Berlin