„Lebendige Plattform, die Innovationen sichtbar macht“ - DOG-Präsident Prof. Siegfried Priglinger im Interview
Neueste Erkenntnisse, innovative Entwicklungen und zentrale berufspolitische Fragen – all das bietet der DOG-Kongress im Berliner Estrel. Prof. Dr. Siegfried Priglinger über die Innovationsinitiative der DOG, die Rolle von KI und Gentherapien und die Kompetenzen, die den ophthalmologischen Nachwuchs stark für die Zukunft machen.
Prof. Priglinger, was hat Sie dazu bewogen, das Leitmotiv „Ophthalmologie im Wandel – Gemeinsam die Zukunft gestalten“ für den DOG-Kongress 2025 zu wählen, und wie spiegelt sich dieses Motto im Programm wider?
Die Augenheilkunde befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel – technologisch, strukturell und gesellschaftlich. Mit dem Motto „Ophthalmologie im Wandel – Gemeinsam die Zukunft gestalten“ möchten wir diese Dynamik nicht nur beschreiben, sondern aktiv gestalten. Neue Technologien wie Gentherapien, Künstliche Intelligenz, Bildanalyse-Algorithmen, Robotik und personalisierte Medizin eröffnen ganz neue Möglichkeiten in Diagnostik und Therapie. Gleichzeitig verändern sich Versorgungsstrukturen massiv, etwa durch die zunehmende Bedeutung von MVZ oder durch neue Finanzierungsmodelle. Unser Ziel ist es daher, eine Plattform zu schaffen, auf der Klinik, Forschung, Praxis, Industrie und Nachwuchs gemeinsam Lösungen entwickeln. Im Programm spiegelt sich das Motto in zahlreichen innovativen Formaten wider – etwa beim „OphthalmoPitch“, der jungen Talenten Raum für neue Ideen und mutige Ansätze gibt.
Die DOG hat eine umfassende Innovationsinitiative gestartet – welche konkreten Ziele verfolgt sie damit, und welche Rolle übernimmt dabei das „Innovationsforum Ophthalmologie“?
Mit der Innovationsinitiative DOG 2025 möchten wir gezielt ein Umfeld schaffen, das kreative Ideen sichtbar macht, Wissen schneller in die klinische Anwendung bringt und den wissenschaftlichen Nachwuchs ermutigt, unternehmerische Wege zu gehen. Herzstück ist das Innovationsforum Ophthalmologie, in dem Formate wie „StartUp Solutions“ und der „OphthalmoPitch“ stattfinden. Hier präsentieren junge Forschende ihre Projekte vor einer Fachjury und dem Publikum, die drei besten Beiträge werden mit Innovationspreisen ausgezeichnet. Ergänzend soll ein Innovationsbeirat aufgebaut, der Expertinnen und Experten aus Biotechnologie, Patentrecht, Finanzierung und Unternehmensentwicklung zusammenbringt. Er bietet jungen Forschenden Mentoring, Beratung und Zugang zu Netzwerken. Darüber hinaus arbeiten wir eng mit Partnern wie dem UnternehmerTUM zusammen, um den Transfer von Forschung in die Praxis zu beschleunigen.
Die Ophthalmologie gilt als eines der exemplarischen medizinischen Anwendungsfelder für Künstliche Intelligenz (KI) in der Medizin. Welche Entwicklungen und Fragestellungen auf diesem Gebiet werden den DOG-Kongress besonders beschäftigen?
In der Tat sind KI-gestützte Verfahren in der Augenheilkunde ein Schwerpunkt des Kongresses. Besonders im Fokus stehen Fortschritte bei der automatisierten Bildanalyse, der prädiktiven Diagnostik und der personalisierten Therapieplanung. Zudem werden die Potenziale großer Sprachmodelle diskutiert, die beispielsweise bei der Patientenedukation und auch bei klinischen Entscheidungen unterstützen könnten. Mit KI lassen sich Routineprozesse neu gestalten, die ophthalmologische Versorgung könnte insgesamt effizienter und personalisierter aufgestellt werden. Darüber hinaus wird die Rolle der KI in Kombination mit Robotik und bildgebenden Verfahren wie der intraoperativen OCT beleuchtet, die neue Möglichkeiten etwa für präzisere subretinale Injektionen in der Gentherapie eröffnet. Ein weiteres Thema ist der Einsatz von KI in der Früherkennung hereditärer Netzhauterkrankungen durch die Korrelation genetischer Daten mit Bildanalysen – ein Feld, das künftig völlig neue Prognosemöglichkeiten schaffen könnte.
Auch bei Gentherapien spielt die Ophthalmologie eine Vorreiterrolle. So wurde unter Ihrer Leitung 2019 an der Augenklinik der LMU deutschlandweit die erste zugelassene Gentherapie in der Augenheilkunde durchgeführt. Welche aktuellen Entwicklungen auf diesem Feld werden in Berlin diskutiert?
Gentherapien gehören auch 2025 zu den zentralen Themen. Mit Luxturna® steht inzwischen eine zugelassene Therapie für Patientinnen und Patienten mit RPE65-Mutationen zur Verfügung – ein Meilenstein, der insbesondere betroffenen Kindern neue Perspektiven eröffnet. Darüber hinaus rücken weitere neue Ansätze in den Vordergrund: AAV-basierte Genadditionstherapien, duale Vektorsysteme und CRISPR-basierte Verfahren, die langfristig auch für bislang unbehandelbare Netzhautdystrophien kausale oder supportive Therapien ermöglichen könnten. In Berlin werden sowohl aktuelle Studien als auch erste Praxiserfahrungen vorgestellt. Mitunter sind Gentherapie und Robotik auch schon miteinander verbunden. So besteht die Herausforderung bei der Gentherapie der Netzhaut darin, die subretinale Injektion präzise und langsam durchzuführen. Ein Robotersystem in Kombination mit iOCT kann helfen, die erforderliche chirurgische Präzision zu verbessern – auch hier werden in einem Symposium die Ergebnisse einer klinischen Studie zur Durchführung subretinaler Injektionen mithilfe eines Robotersystems gezeigt.
Welche Kompetenzen sollten junge Ophthalmologinnen und Ophthalmologen Ihrer Ansicht nach heute erwerben, um den künftigen Anforderungen gerecht zu werden?
Junge Ophthalmologinnen und Ophthalmologen sollten heute idealerweise mehr mitbringen als eine solide klinische Ausbildung. Gefragt sind Kompetenzen im Bereich der Digitalisierung und des Einsatzes neuer Technologien – von KI-gestützter Bildanalyse bis zur Robotik. Ebenso wichtig ist die Fähigkeit, translational zu arbeiten: also Erkenntnisse aus der Forschung schnell in die klinische Anwendung zu übertragen. Hinzu kommt ein Verständnis für Innovation und Unternehmertum, um eigene Ideen auch in die Praxis bringen zu können. Schließlich sind internationale Vernetzung und die Orientierung an europäischen Standards – wie sie die FEBO-Prüfung verkörpert – unverzichtbar. All das soll den Nachwuchs befähigen, in einem sich wandelnden Umfeld flexibel, kreativ und verantwortungsvoll zu handeln.
Welche Rahmenbedingungen sollten sich Ihrer Meinung nach verbessern, um die ophthalmologische Forschung in Deutschland zukunftssicherer zu machen?
Damit die deutsche Ophthalmologie international konkurrenzfähig bleibt, braucht es verlässliche politische und finanzielle Rahmenbedingungen. Dazu gehören eine bessere staatliche Förderung und langfristige Investitionen in Forschungsstrukturen sowie eine konsequente Absicherung der Wissenschaftsfreiheit. Der Aufbau eines „German National Eye Institute“ könnte hier als Plattform dienen, um klinische Studien, Translation und Ausgründungen zu koordinieren. Ebenso wichtig ist der Erhalt starker Kompetenzzentren an Universitätskliniken, die nicht nur komplexe Therapien ermöglichen, sondern auch für die Ausbildung des Nachwuchses unersetzlich sind. Nur wenn diese Grundlagen gesichert sind, kann die ophthalmologische Forschung ihr Innovationspotenzial voll entfalten.
Was erhoffen Sie sich persönlich von der DOG 2025 und welche Impulse soll der Kongress aussenden?
Für mich ist es ein zentrales Anliegen, dass die DOG 2025 als lebendige Plattform erlebt wird, die Innovationen sichtbar macht und deren Umsetzung fördert. Besonders freue ich mich auf den direkten Austausch mit jungen Kolleginnen und Kollegen – ihre Energie und Neugier sind für mich ein echtes Highlight. Wenn auf dem Kongress spürbar wird, wie innovativ und engagiert unsere augenärztliche Community ist und wie viel Potenzial in der Zusammenarbeit über Generationen, Institutionen und Disziplinen hinweg steckt, dann habe ich mein Ziel erreicht.
DOG 2025
123. Kongress der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft
25. - 28.09.2025
Estrel Berlin