Ein verborgenes Uhrwerk im Auge

Die Studie eines IOB-Forschungsteams, veröffentlicht in Nature Neuroscience, zeigt, wie die Netzhaut Unterschiede in der Signalleitung ausgleicht – noch bevor Informationen das Gehirn erreichen.

© IOB
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Unsere Wahrnehmung hängt nicht nur davon ab, was wir sehen, sondern auch wann wir es sehen. Signale, die von lichtempfindlichen Zellen in der Netzhaut ausgelöst werden, durchlaufen Nervenfasern unterschiedlicher Länge, bevor sie sich am Sehnerv bündeln und ins Gehirn weitergeleitet werden. Selbst benachbarte Zellen in der zentralen Netzhaut können visuelle Informationen über unterschiedlich lange Strecken senden – was die Frage aufwirft, wie das Gehirn dennoch ein klares, unverzögertes Bild der Welt erzeugen kann.

Die Studie eines Forschungsteams des Instituts für Molekulare und Klinische Ophthalmologie Basel (IOB), veröffentlicht in Nature Neuroscience, zeigt nun, dass dieser präzise Abgleich der Zeit bereits im Auge beginnt: Die Netzhaut selbst passt Signalleitungen so an, dass Informationen aus verschiedenen Bereichen nahezu gleichzeitig im Gehirn ankommen – trotz sehr unterschiedlicher Übertragungswege.

Die wichtigsten Ergebnisse auf einen Blick:

  • Feinabstimmung in der Netzhaut: Längere Axone von retinalen Ganglienzellen haben grössere Durchmesser und leiten Signale schneller weiter – das hilft, deren Ankunftszeiten zu harmonisieren.
  • Präzision im Millisekundenbereich: Dieser Mechanismus reduziert zeitliche Unterschiede zwischen Signalen aus verschiedenen Netzhautbereichen auf wenige Millisekunden.
  • Mehrstufiger Ausgleich: Neben der Leitungsgeschwindigkeit tragen auch Unterschiede in der Antwortlatenz retinaler Zellen sowie weitere Anpassungen im Gehirn zur Synchronisierung bei.

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Die Forschenden des IOB zeigen, dass die zeitliche Abstimmung visueller Signale beim Menschen bereits in der Netzhaut beginnt – und nicht, wie bisher angenommen, erst im Gehirn. Dieses eingebaute Kompensationssystem sorgt dafür, dass wir die Welt klar und konsistent wahrnehmen – trotz anatomischer Unterschiede in den Signalwegen innerhalb des Auges.

Diese Ergebnisse werfen neue Fragen auf: Wie passen sich Nervenfasern während der Entwicklung an, wie wird ihr Durchmesser reguliert und welche Eigenschaften der Zellmembran beeinflussen die Geschwindigkeit der Signalübertragung? Ein besseres Verständnis dieser Mechanismen könnte grundlegende Prinzipien zeitlicher Koordination im Gehirn aufdecken – mit Relevanz weit über das visuelle System hinaus.

Bucci, A., Büttner, M., Domdei, N. et al. Synchronization of visual perception within the human foveaNat Neurosci (2025). https://doi.org/10.1038/s41593-025-02011-3

Quelle: IOB