Blick ins Auge: Netzhaut-Scans als Schlüssel zur Früherkennung von Diabetes, Bluthochdruck und Alzheimer?
Die Netzhaut bietet durch ihre direkte Einsicht in die kleinsten Blutgefäße des Körpers einzigartige Möglichkeiten, Hinweise auf systemische Erkrankungen frühzeitig zu erkennen. Ein Statement von Prof. Dr. Frank G. Holz, Vorsitzender der Stiftung Auge und Direktor der Universitäts-Augenklinik Bonn.

In den vergangenen Jahren haben wissenschaftliche Arbeiten gezeigt, dass Veränderungen der Netzhautstrukturen Hinweise auf Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes mellitus, auf kardiovaskuläre Erkrankungen wie Bluthochdruck sowie auf neurodegenerative Prozesse wie bei der Alzheimer-Erkrankung liefern können.
Diese Veränderungen treten häufig zu einem Zeitpunkt auf, an dem Betroffene noch keine klinischen Symptome bemerken. Die Untersuchung der Netzhaut erfolgt dabei mit modernen hochauflösenden bildgebenden Verfahren wie der optischen Kohärenztomografie (OCT) oder der digitalen Fundusfotografie. Bereits geringfügigste Veränderungen der Gefäßstruktur können hier sichtbar gemacht werden. Beim Bluthochdruck zeigt sich dies etwa in Form von Gefäßverengungen mit Kaliberschwankungen und kleinen Einblutungen in die Netzhaut. Bei Diabetes treten Mikroaneurysmen, intraretinale Blutungen und eine Schwellung der Makula, das sogenannte diabetische Makulaödem, auf, die auf eine beginnende diabetische Retinopathie hinweisen können. Umso früher hier therapiert wird, wenn noch keine oder wenig visuelle Einschränkungen vorliegen, desto besser sind die Aussichten, dass gutes Sehvermögen erhalten werden kann. So gibt es für das diabetische Makulaödem eine äußerst wirksame und sichere Therapie mit Spritzen von sogenannten VEGF-Hemmern in das Auge. Auch bei neurodegenerativen Erkrankungen lassen sich strukturelle Auffälligkeiten am Auge früh nachweisen, etwa eine reduzierte Dichte der Netzhautgefäße oder ein Verlust an Nervenfaserschichtdicke. Auch hier ist das Ziel, möglichst frühzeitig zu behandeln, bevor irreversible Schäden am Gehirn auftreten.
Aktuelle Studien zeigen, dass Netzhautaufnahmen nicht nur zur Diagnose bereits etablierter Erkrankungen dienen, sondern auch im Rahmen von Früherkennungsstrategien eingesetzt werden können. So konnten mithilfe von künstlicher Intelligenz aus Fundusaufnahmen Merkmale extrahiert werden, die mit einem erhöhten Risiko für Diabetes oder kognitive Beeinträchtigungen assoziiert sind. Insbesondere bei Alzheimer scheint die Netzhaut mit ihren Millionen von Nervenzellen als peripheres Abbild zentralnervöser Prozesse messbare Hinweise auf erste pathologische Veränderungen zu liefern – lange bevor Symptome wie Gedächtnisverlust oder Orientierungsstörungen auftreten.
Krankheitsverläufe frühzeitig beeinflussen
Die Möglichkeit, durch eine einfache, rasch durchführbare, nicht invasive Untersuchung der Netzhaut Hinweise auf internistische oder neurologische Erkrankungen zu erhalten, eröffnet aussichtsreiche, neue diagnostische Wege. Dies ergänzt bestehende Verfahren, bietet potenziell eine niedrigschwellige Zugänglichkeit und könnte dazu beitragen, Krankheitsverläufe frühzeitig mittels prophylaktischer und therapeutischer Maßnahmen zu beeinflussen. Dabei ersetzt die Netzhautuntersuchung keine umfassende internistische oder neurologische Diagnostik, kann aber als ergänzendes Instrument genutzt werden, um weitergehende diagnostische Maßnahmen auszulösen – insbesondere bei Patientinnen und Patienten mit Risikofaktoren oder unklaren Befunden.
Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, die Netzhaut als diagnostisches Fenster in interdisziplinäre Fragestellungen einzubeziehen. Augenärztinnen und Augenärzte leisten hier durch ihre technischen Möglichkeiten und ihre fachliche Expertise einen wichtigen Beitrag. Die weitere Erforschung dieser Zusammenhänge bleibt eine wichtige Aufgabe, um den diagnostischen Wert retinaler Befunde künftig noch besser einschätzen und nutzen zu können.
Quelle: Stiftung Auge der DOG