HIV-Arzneimittel verbessert Sehvermögen von DMÖ-Patienten

Lamivudin, ein kostengünstiges und seit Langem zugelassenes HIV-Medikament, kann das Sehvermögen bei Patienten mit diabetischem Makulaödem (DMÖ) wirksamer und zu deutlich geringeren Kosten verbessern als viele derzeit verfügbaren Therapien, so Forscher um Prof. Dr. Jayakrishna Ambati, University of Virginia, in einer neue klinische Studie.

HIV-Arzneimittel verbessert Sehvermögen von DMÖ-Patienten

Lamivudin könnte eine wichtige neue Option für Millionen von Patienten mit diabetischem Makulaödem (DMÖ) darstellen. Schätzungsweise jeder 14. Diabetiker entwickelt diese Erkrankung.

„Ein orales Medikament, das das Sehvermögen bei DMÖ verbessert, wäre ein Wendepunkt, da es für die Patienten sehr viel bequemer wäre als häufige, oft monatliche Injektionen ins Auge“, erklärte Dr. Jayakrishna Ambati, Professor & Vice Chair for Research of Ophthalmology und Founding Director des Center for Advanced Vision Science der University of Virginia. Ambati gilt international als einer der führenden Experten für okuläre Angiogenese und altersbedingte Makuladegeneration.

Ambatis Mitarbeiter an der Universidade Federal de São Paulo in Brasilien, unter der Leitung von Dr. Felipe Pereira und Dr. Eduardo Buchele Rodrigues, rekrutierten zwei Dutzend Erwachsene mit DMÖ für eine kleine randomisierte klinische Studie. Die Teilnehmenden wurden nach dem Zufallsprinzip so eingeteilt, dass sie entweder Lamivudin oder ein harmloses Placebo erhielten, jeweils zusätzlich zu Bevacizumab-Injektionen, die vier Wochen später begannen.

Signifikante Verbesserungen des Sehvermögens

Bereits vor den ersten Injektionen zeigten diejenigen Teilnehmenden, die Lamivudin erhielten, signifikante Verbesserungen ihres Sehvermögens. Ihre Fähigkeit, Buchstaben zu erkennen, verbesserte sich nach vier Wochen um 9,8 Buchstaben (ca. 2 Zeilen auf dem Sehtest), während die Placebo-Gruppe einen Rückgang um 1,8 Buchstaben verzeichnete. Einen Monat nach den Bevacizumab-Injektionen hatten die Lamivudin-Empfänger um beeindruckende 16,9 Buchstaben (mehr als 3 Zeilen) zugelegt, während die Placebo-Gruppe, die nur Bevacizumab erhalten hatte, lediglich um 5,3 Buchstaben zulegte.

Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Lamivudin sowohl allein als auch in Kombination mit Bevacizumab wirksam sein könnte, wenngleich größere Studien erforderlich sind, um dies zu bestätigen. Die alleinige Gabe von Lamivudin könnte jedoch für Patienten in vielen Regionen der Welt, in denen der Zugang zu Fachärzten eingeschränkt ist oder die sich monatliche Besuche bei einem Augenarzt nicht leisten können, eine lebensverändernde Option sein, so Ambati.

Kostengünstige Alternative

„Eine Tablette für 20 US-Dollar oder noch weniger im Monat, die das Sehvermögen genauso stark oder stärker verbessert als eine Therapie mit Augeninjektionen, die bis zu 2.000 US-Dollar pro Monat kosten können, könnte sowohl für die Patienten als auch für das Gesundheitssystem revolutionär sein“, erklärt Ambati.

Jayakrishna Ambati. Bild: University of Virginia

Die Forscher vermuten, dass Lamivudin bei DMÖ wirksam ist, weil es die Aktivität von Inflammasomen blockiert – zytosolische Multiproteinkomplexe des Immunsystems, die verantwortlich sind für die Aktivierung von Entzündungsreaktionen und auch mit der Entstehung von DMÖ in Verbindung gebracht werden.

Ambati und seine Kollegen betonen, dass zukünftige Studien zu Lamivudin größere Patientenzahlen umfassen und diese über einen längeren Zeitraum als acht Wochen beobachten müssen. Dennoch sind die Forschenden von diesen ersten vielversprechenden Ergebnissen ermutigt. So verbesserten sich etwa nicht nur in den ersten vier Wochen die Visuswerte – in dieser Phase ist bei DMÖ üblicherweise die größte Steigerung zu beobachten –, sondern auch in den folgenden vier Wochen.

„Der Wirkmechanismus von Lamivudin unterscheidet sich von den bestehenden Behandlungen, weshalb wir auch Kombinationstherapien entwickeln könnten. Diese Studie zeigt, dass das Blockieren von Inflammasomen das Sehvermögen bei DMÖ verbessern kann. Wir haben eine sicherere Version von Lamivudin entwickelt, genannt K9. Sie hemmt Inflammasome ohne die potenziellen Nebenwirkungen von Lamivudin“, erklärte Ambati. „Daher freuen wir uns auf die laufenden und geplanten klinischen Studien zu K9 bei DMÖ.“

Die neuen Ergebnisse ergänzen eine weitere Entdeckung von Ambati, die darauf hinweist, dass HIV-Medikamente das Risiko für Alzheimer deutlich senken können. Seine Gruppe hatte zuvor durch die Analyse großer Gesundheitsversicherungsdatenbanken herausgefunden, dass die sogenannten nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTIs) ebenfalls das Risiko für Diabetes und Makuladegeneration reduzieren können.

Die neue klinische DMÖ-Studie wurde durch ähnliche Erkenntnisse angestoßen und veranschaulicht die Kraft dessen, was Ambati als „Big Data Archeology“ bezeichnet.

Ambati und seine Mitforschenden haben ihre Ergebnisse im Fachjournal Med, dem klinischen Leitmedium von Cell Press, veröffentlicht.

Oral lamivudine in diabetic macular edema: A randomized, double-blind, placebo-controlled clinical trial, Pereira, Felipe et al., Med, 100747, May 27, 2025

 

Quelle: University of Virginia