Individuelle Gesundheitsleistungen: Betriebswirtschaftlich, steuerlich und in der Außenprüfung

von StB Catrin Stockhausen, Korbach Berater empfehlen Ärzten individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) als lukratives Zusatzgeschäft. Ärzte sind aber oft unsicher, wie sie sie verkaufen sollen. Und die Patienten wiederum sind skeptisch, denn viele Leistungen werden als unnütz eingestuft (www.igel-monitor.de). Und auch in der Betriebsprüfung machen sie Scherereien: Zum einen ist die Frage, ob IGeL nun umsatzsteuerfrei sind (oder nicht), nicht einfach zu beantworten. Z...

Individuelle Gesundheitsleistungen: Betriebswirtschaftlich, steuerlich und in der Außenprüfung

von StB Catrin Stockhausen, Korbach

Berater empfehlen Ärzten individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) als lukratives Zusatzgeschäft. Ärzte sind aber oft unsicher, wie sie sie verkaufen sollen. Und die Patienten wiederum sind skeptisch, denn viele Leistungen werden als unnütz eingestuft (www.igel-monitor.de). Und auch in der Betriebsprüfung machen sie Scherereien: Zum einen ist die Frage, ob IGeL nun umsatzsteuerfrei sind (oder nicht), nicht einfach zu beantworten. Zum anderen können IGeL zu Barzahlungen führen, für die sich Betriebsprüfer ohnehin interessieren.

  1. Wie sind IGeL definiert?

Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen nach § 12 SGB V (Wirtschaftlichkeitsgebot) nur Leistungen, die

  • ausreichend,
  • zweckmäßig
  • wirtschaftlich sind und die
  • das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.

Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind,

  • können Versicherte nicht beanspruchen,
  • dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken
  • und die Krankenkassen nicht bewilligen.

1.1 Der Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen

Den Gesamtumfang aller Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung bezeichnet man als Leistungskatalog. Der Leistungsumfang ist im SGB V nur als Rahmenrecht vorgegeben. Danach hat der Versicherte z. B. einen Anspruch auf Krankenbehandlung (§ 11 Abs. 1 Nr. 4 SGB V). Hierzu zählen insbesondere

  • die ärztliche, zahnärztliche und psychotherapeutische Behandlung,
  • die Versorgung mit Arznei-, Verbands-, Heil- und Hilfsmitteln,
  • die häusliche Krankenpflege,
  • die Krankenhausbehandlung sowie
  • die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und sonstige Leistungen.

Das Rahmenrecht wird vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) in den verschiedenen Leistungsbereichen durch Richtlinien konkretisiert. Der G-BA ist das oberste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen in Deutschland. Sie sind für die beteiligten Krankenkassen, Leistungserbringer und die Versicherten verbindlich. Die zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung abrechnungsfähigen ärztlichen Leistungen und deren Vergütung werden im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) festgelegt, und zwar durch den Bewertungsausschuss.

1.2 Satzungsleistungen der gesetzlichen Krankenkassen

Wollen Krankenkassen Leistungen über den gesetzlichen Leistungsumfang gewähren, können sie dies als Satzungsleistungen (z. B. Reiseimpfschutz, Gesundheitskurse im Urlaub). Satzungsleistungen stehen in der Regel im freien Ermessen der Krankenkassen und können im Wettbewerb der Krankenkassen eingesetzt werden. Die Krankenkasse ist gegenüber allen Versicherten an ihre Satzungsregelung gebunden. Nach dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz zusätzlich anbietbare Satzungsleistungen sind:

  • Vorsorge- und Reha-Maßnahmen,
  • Hebammenleistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft,
  • künstliche Befruchtung,
  • zahnärztliche Behandlung (ohne Zahnersatz),
  • nicht verschreibungspflichtige apothekenpflichtige Arzneimittel,
  • Heil- und Hilfsmittel,
  • häusliche Krankenpflege und Haushaltshilfe sowie
  • nicht zugelassene Leistungserbringer.

Voraussetzung ist, dass diese Leistungen vom G-BA nicht ausgeschlossen sind und dass sie in der fachlich gebotenen Qualität erbracht werden. Die Krankenkassen haben in ihren Satzungen hinreichende Anforderungen an die Qualität der Leistungserbringung zu regeln.

1.3 IGeL (Selbstzahler-Leistungen)

Leistungen, die nicht im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen erfasst und die auch keine Satzungsleistungen sind, sind von den gesetzlich Versicherten selbst zu zahlen (individuelle Gesundheitsleistungen). Allerdings übernehmen manche gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für bestimmte IGeL oder sie bieten Zusatzversicherungen dafür an.

Klassifikation von IGeL

Der IGeL-Ratgeber der Bundesärztekammer (BÄK) unterscheidet sinngemäß folgende Gruppen:

  • Leistungen, die von den gesetzlichen Krankenkassen nicht gezahlt werden, weil derzeit nach Ansicht des G-BA keine ausreichenden Belege für ihren Nutzen vorliegen (z. B. alternative Heilverfahren),
  • Leistungen, für die kein Nutzenbeleg vorliegt, die aber auch keine bedeutsamen Schäden erwarten lassen, sodass das Verhältnis von Nutzen und Schaden mindestens ausgeglichen ist (z. B. Gesundheitsvorsorgeleistungen),
  • von Patienten gewünschte Leistungen, die keine medizinische Zielsetzung haben (z. B. kosmetische Leistungen wie Schönheitsoperationen), wenn sie aus ärztlicher Sicht zumindest vertretbar sind,
  • ärztliche (Beratungs-)Leistungen, wie z. B. medizinische Beratungen zu Fernreisen oder gutachterliche Bescheinigungen zur Flugtauglichkeit,
  • Leistungen, die Patientinnen oder Patienten einem Risiko aussetzen, obwohl sie nachweislich keinen Nutzen haben. Dies gilt für einige Angebote der Krankheitsfrüherkennung, so z. B. für die Früherkennung von Eierstockkrebs durch eine transvaginale Ultraschalluntersuchung.

 

(Quelle: Ratgeber zu individuellen Gesundheitsleistungen der Bundesärztekammer)

 

1.4 Umfang und Entwicklung des Marktes für IGeL

Laut IGeL-Report 2018 wird jedem zweiten GKV-Versicherten beim Arztbesuch eine ärztliche Leistung als Privatleistung angeboten, in 3 von 4 Fällen wurde die Leistung auch erbracht. Die Initiative geht dabei in der Mehrzahl der Fälle von den Ärzten aus (72,6 %) – am häufigsten von Gynäkologen und von Augenärzten. Die Versicherten fragen von sich aus am häufigsten nach kosmetischen Behandlungen (45,0 %) und nach Hautkrebsvorsorge. Die am häufigsten angebotenen Leistungen in der ambulanten Versorgung (Stand 2018):

Ige-Leistungen in der ambulanten Versorgung (2018)

Angebotene Leistung

Anteil

Augeninndendruckmessung zur Glaukom-Früherkennung

22 %

Ultraschall der Eierstöcke zur Krebsfrüherkennung

19 %

Ultraschall der Brust zur Krebsfrüherkennung

12 %

PSA-Test zur Früherkennung von Prostatakrebs

7 %

Ultraschall (transvaginal) des Bauchraums (Eierstöcke/Gebärmutter)

7 %

Dermatoskopie zur Hautkrebsvorsorge

6 %

Blutuntersuchungen ergänzend zur Kassenleistung

5 %

Augenspiegelung mit Messung des Augeninnendrucks zur Glaukom-Früherkennung

5 %

Reisemedizinische Versorgung

4 %

HPV-Test zur Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs

4 %

(Quelle: IGeL-Report 2018)

Auf Basis einer Hochrechnung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) ergibt sich für den IGeL-Markt 2018 ein Volumen von mehr als 1 Mrd. EUR. Dies überrascht nicht, ist der Anteil der Selbstzahlerleistungen im Jahr 2017 doch erneut gestiegen und macht nun 8,3 % des Praxisumsatzes aus (Quelle: Ärzte im Zukunftsmarkt Gesundheit 2017 [GGMA]) – der höchste Stand seit Beginn der Befragung im Jahr 2006.

1.5 Voraussetzungen für das Angebot von IGeL

IGeL sind nach der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) zu berechnen. Ein Vertragsarzt darf Leistungen außerhalb der GKV-Leistungspflicht nur dann als privatärztliche Leistungen nach der GOÄ abrechnen, wenn diese ausdrücklich vom Patienten gewünscht werden (§ 18 Abs. 8 Zif. 2 BMV-Ä, § 21 Abs. 8 Zif. 2 Bundesmantelvertrag-Ärzte/Ersatzkassen [EKV]). Zusätzlich muss bei der Privatbehandlung eines gesetzlich versicherten Patienten vor Beginn der Behandlung die schriftliche Zustimmung des Versicherten eingeholt werden und der Patient muss auf die Pflicht zur Übernahme der Kosten hingewiesen worden sein (§ 3 Abs. 1 und § 18 Abs. 8 Ziff. 3 BMV-Ä; § 2 Abs. 11 und § 21 Abs. 8 Ziff. 3 EKV). Sowohl eine mündliche Zustimmung als auch eine Teilzahlung des Patienten reichen nicht (LG Mannheim, Urteil vom 18.01.2008, Az. 1 S 99/07).

  1. Sind IGeL überhaupt für den Arzt rentabel?

Hat sich der Arzt dazu entschieden, IGeL anzubieten, dann sollte er auf die Rentabilität der Leistung achten (vgl. In der Gewinnzone, Frielingsdorf, IGeL aktiv 2-2008). Frielingsdorf schlägt als Kennzahl den Deckungsbeitrag vor, aus dem er bei Berücksichtigung der Fixkosten die Anzahl der notwendigen Behandlungen ableitet, um die Gewinnschwelle (Break-Even) zu erreichen. An folgende Positionen ist dabei u. a. zu denken:

Einflussfaktoren der Rentabilität

  • das mit der IGeL erzielbare Honorar
  • variabler Personalaufwand
  • als Arbeitszeit des Arztes (der angenommene Stundensatz hat einen großen Einfluss auf die Rentabilität!)
  • als Arbeitszeit der Mitarbeiterin (Stundensatz errechnet aus Gehalt inkl. Sozialabgaben)
  • variabler Materialaufwand
  • z. B. Strom/Energie, Wasser, Papier, Praxisbedarf (Kanülen, Spritzen, Präparate etc.)
  • Medikamente und Präparate, die der Patient selbst bezahlt, sind durchlaufende Posten.
  • fixer Aufwand
  • Miete und Mietnebenkosten (EUR/m²), wenn Flächen benötigt werden, wie das z. B. für Geräteleistungen der Fall ist
  • Finanzierungskosten des Geräts
  • Wartungskosten des Geräts

Der Deckungsbeitrag ergibt sich aus der Differenz von Erlös aus IGeL abzüglich dem variablen Aufwand. Die Gewinnschwelle gibt an, wie viele IGeL pro Jahr erbracht werden müssen, um mit dem in die Praxiskasse fließenden Deckungsbeitrag den fixen Aufwand gerade abzudecken. Jede weitere Leistung erhöht mit ihrem Deckungsbeitrag den Gewinn.

Praxishinweis | Folgender Zusammenhang ist laut Frielingsdorf beobachtbar: Gerätegestützte Leistungen haben oft einen höheren Deckungsbeitrag als reine Beratungsleistungen. Allerdings haben sie auch ein höheres betriebswirtschaftliches Risiko. Denn wenn die Gewinnschwelle nicht erreicht wird, fallen bei gerätegestützten Leistungen Verluste an. Das ist bei reinen Beratungsleistungen nicht der Fall.

 

  1. Sind IGeL per se umsatzsteuerpflichtig?

Eine Pauschalaussage, ob IGeL umsatzsteuerbefreit oder umsatzsteuerpflichtig sind, ist nicht möglich. Es kommt – die Befähigung des Behandlers vorausgesetzt – darauf an, ob die Leistung eine Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin ist.

3.1 Allgemeine Grundsätze zu § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG

  • 4 Nr. 14 Buchst. a UStG befreit Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin von der Umsatzsteuer, die in Ausübung der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Hebamme oder einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit erbracht werden.

Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin dienen der Diagnose, Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen. Sie müssen einen therapeutischen Zweck haben. Hierzu gehören auch Leistungen zum Zweck der Vorbeugung und zum Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit. „Ärztliche Leistungen“, „Maßnahmen“ oder „medizinische Eingriffe“ zu anderen Zwecken sind keine Heilbehandlungen (BFH-Urteil vom 19.03.2015, Az. V R 60/14).

Zwar müssen die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin einem therapeutischen Zweck dienen, doch folgt daraus nicht zwangsläufig, dass die therapeutische Zweckbestimmtheit einer Leistung in einem besonders engen Sinne zu verstehen ist (EuGH-Urteil vom 10.06.2010, Az. C-262/08, BFH-Urteil vom 09.03.2015, Az. V R 60/14).

So sind auch ästhetische Behandlungen Heilbehandlungen, wenn diese Leistungen dazu dienen, Krankheiten oder Gesundheitsstörungen zu diagnostizieren, zu behandeln oder zu heilen oder die Gesundheit zu schützen, aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen (EuGH-Urteil vom 21.03.2013, Az. C-91/12; BFH-Urteil vom 09.03.2015, Az. V R 60/14; BFH-Urteil vom 04.12.2014, Az. V R 33/12). Die Steuerbefreiung ist nicht auf solche Leistungen beschränkt, die unmittelbar der Diagnose, Behandlung oder Heilung einer Krankheit oder Verletzung dienen. Sie erfasst auch Leistungen, die erst als Folge solcher Behandlungen erforderlich werden, seien sie auch ästhetischer Natur (Folgebehandlung). So verhält es sich, wenn die medizinische Maßnahme dazu dient, die negativen Folgen der Vorbehandlung zu beseitigen. Dies steht im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 21.03.2013, Az. C-91/12), wonach eine therapeutische Zweckbestimmtheit einer Leistung nicht in einem besonders engen Sinne zu verstehen sei (BFH-Urteil vom 19.03.2015, Az. V R 60/14).

Beispiel

  • Schönheitsoperationen, soweit diese dazu dienen, Krankheiten oder Gesundheitsstörungen zu diagnostizieren, zu behandeln oder zu heilen (hier: psychische Gesundheitsstörungen, EuGH-Urteil vom 21.03.2013, Az. C-91/12; BFH-Urteil vom 04.12.2014, Az. V R 16/12).
  • Zahnaufhellungen (Bleaching) zur Beseitigung einer Zahnverdunklung als unmittelbare Folge einer medizinisch indizierten Zahnbehandlung (BFH-Urteil vom 19.03.2015, Az. V R 60/14).

Allerdings sind bloße Maßnahmen zur Steigerung des allgemeinen Wohlbefindens bzw. ein Wellnessprogramm keine Heilbehandlung im Sinne der Befreiungsnorm, selbst wenn sie von Angehörigen eines Heilberufs erbracht wird. Im Grenzbereich zwischen möglicher Heilbehandlung und Steigerung des allgemeinen Wohlbefindens greift § 4 Nr. 14 UStG bei Maßnahmen ein, die aufgrund ärztlicher Indikation nach ärztlicher Verordnung oder im Rahmen einer Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahme erbracht werden (vgl. BFH-Urteil vom 07.07.2005, Az. V R 23/04 und BFH-Urteil vom 20.01.2008, Az. XI R 53/06).

Praxishinweis | Die Kostentragung durch die GKV mag zwar ein Indiz für ein medizinisch-therapeutisches Ziel darstellen, da die Leistungspflicht der GKV nach § 27 SGB V grundsätzlich eine Krankheit voraussetzt. Der Umkehrschluss (keine Kostenübernahme – kein medizinisch-therapeutisches Ziel) ist jedoch unzulässig, da sich die Sozialversicherungsträger bei ihren Überlegungen nicht nur von medizinischen, sondern auch von Wirtschaftlichkeitserwägungen leiten lassen (BFH-Urteil vom 20.01.2008, Az. XI R 53/06 zur medizinisch indizierten und ärztlich verordneten Hippotherapie).

3.2 Übertragung der Grundsätze

Heilberufliche Leistungen sind – die Befähigung des Leistungserbringers ­vorausgesetzt – umsatzsteuerfrei, wenn bei ihnen ein therapeutisches Ziel im Vordergrund steht. Nichts anderes gilt für IGeL. Dies gilt unabhängig davon,

  • um welche konkrete heilberufliche Leistung es sich handelt (Untersuchung, Attest, Gutachten usw.),
  • für wen sie erbracht wird (Patient, Gericht, Sozialversicherung o. a.)
  • und wer sie erbringt (freiberuflicher oder angestellter Arzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut oder Unternehmer, der ähnliche heilberufliche Tätigkeiten ausübt, bzw. Krankenhäuser, Kliniken usw.).

Heilberufliche Leistungen sind daher nur steuerfrei, wenn bei der Tätigkeit ein therapeutisches Ziel im Vordergrund steht (vgl. Abschn. 4.14.1 Abs. 4 S. 3 f. UStAE).

Unter die Befreiung fallen Tätigkeiten, die Teil eines konkreten, individuellen, der Diagnose, Behandlung, Vorbeugung und Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienenden Leistungskonzeptes sind (vgl. Abschn. 4.14.1 Abs. 4 S. 5 UStAE). Das schließt erst einmal keine der oben in Abschnitt 1.3 aufgeführten Leistungen grundsätzlich aus. Selbst Beratungsleistungen (Stichwort: Gutachten) oder kosmetische Eingriffe können unter dieser Voraussetzung umsatzsteuerfrei sein. Die Abgrenzung im Einzelfall ist freilich schwierig und der Dokumentationsaufwand hoch.

Einen Anhaltspunkt, wie die Finanzverwaltung die Leistungen einordnet, bietet der Katalog der OFD Karlsruhe (05.04.2011, S 7170; insbes. zur Gutachtertätigkeit siehe OFD Frankfurt 09.02.2012, S 7170 A - 63 - St 112).

Beispiele für umsatzsteuerfreie Leistungen

  • Gutachten sind umsatzsteuerfrei, wenn ein therapeutisches Ziel im Vordergrund steht (Alkohol- und Drogengutachten zum Zwecke einer anschließenden Heilbehandlung). Sie sind jedoch umsatzsteuerpflichtig, wenn sie Voraussetzung einer Entscheidung sind, die Rechtswirkung erzeugt (Alkohol- und Drogengutachten zur Untersuchung der Fahrtüchtigkeit). Ein mittelbarer Schutz der Gesundheit reicht nicht.
  • Vorsorgeuntersuchungen, bei denen Krankheiten möglichst frühzeitig festgestellt werden sollen, wie z. B. Krebsfrüherkennung oder Glaukomfrüherkennung,
  • Mammografien einschließlich der von Radiologen erstellten Mammographien im Rahmen des Mammografie-Screenings (Zweitbefund),
  • sonstige Leistungen eines Arztes im Zusammenhang mit einer künstlichen Befruchtung,
  • die im Zusammenhang mit einem Schwangerschaftsabbruch nach § 218a StGB stehenden ärztlichen Leistungen einschließlich der nach den §§ 218b, 219 StGB vorgesehenen Sozialberatung durch einen Arzt,
  • sonstige Leistungen eines Arztes im Zusammenhang mit Empfängnisverhütungsmaßnahmen einschließlich der Sterilisation bei Mann und Frau.

3.3 IGeL in der Betriebsprüfung

Während Kassenleistungen in der Betriebsprüfung unkritisch sind, bergen IGeL grundsätzlich das Risiko, dass der Prüfer das medizinisch-therapeutische Ziel anzweifeln könnte. Es ist daher wichtig, Beweisvorsorge zu betreiben und den medizinischen Hintergrund der Leistung gesondert zu dokumentieren (regelmäßig durch substantiierte Eigenaufzeichnungen zum klar formulierten therapeutischen Ziel; bei großvolumigen Leistungen – z. B. ästhetisch-plastische Leistungen – auch durch externe Begutachtung).

Die Feststellungslast liegt beim Arzt, da er sich auf die Steuerbefreiung beruft. Es ist seine Aufgabe, die medizinische Indikation nachprüfbar und einzelfallbezogen zu dokumentieren. Es hilft dabei nicht, sich auf die Schweigepflicht zu berufen. Bei der Überprüfung der Umsatzsteuerfreiheit von Heilbehandlungsleistungen ist zwar das für die richterliche Überzeugungsbildung gebotene Regelbeweismaß zum Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient auf eine „größtmögliche Wahrscheinlichkeit“ zu verringern. Zugleich hat der Steuerpflichtige im gesteigerten Maß den ihn nach § 76 Abs. 1 S. 2 FGO treffenden Mitwirkungspflichten nachzukommen. Dies erfordert detaillierte Angaben zu der mit dem Behandlungsfall verfolgten therapeutischen oder prophylaktischen Zielsetzung (BFH-Urteil vom 04.12.2014, Az. V R 16/12 und BFH-Urteil vom 04.12.2014, Az. V R 33/12).

IGeL sind auch noch aus einem anderen Grund interessant. Nach Dorrien sollen die „Erfahrungen aus Betriebsprüfungen und Steuerfahndungsmaßnahmen zeigen, dass gerade niedergelassene Ärzte erstaunlich oft gegen das Gesetz verstoßen, wenn sie individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) erbringen.“ IGeL-Leistungen werden außerhalb des Abrechnungssystems der GKV erbracht, unterliegen aber den Aufzeichnungspflichten für steuerliche Zwecke (§§ 140, 145 Abs. 2, 146 Abs. 1 AO). Sie setzen immer einen schriftlichen Vertrag voraus und es gelten die GOÄ und deren Anforderungen an die ordnungsgemäße Rechnungsstellung. Barzahlungen ohne Beleg sind nicht erlaubt.

Beispiel

Stellt der Betriebsprüfer fest, dass eine Praxis – im Internet, mittels Flyer oder durch Angebote der Sprechstundenhilfe – IGeL anbietet, so wird er den Investitionsaufwand für teure Geräte (Betriebsausgaben) mit der tatsächlichen Nutzung vergleichen oder das auch vom Arzt zu führende Wareneingangsbuch daraufhin überprüfen, ob dort Aufwendungen für IGeL-Produkte erfasst sind. Erscheint ihm das Verhältnis zwischen Werbung für Zusatzleistungen und ihrer schriftlichen Erfassung beziehungsweise Abrechnung fragwürdig, wird er seine Prüfung erweitern und schließlich eine Zuschätzung vornehmen.

 

(Quelle: Umsatzsteuerpflicht bei IGeL: Unterschätztes Terrain [Dorrien 2013])