Die nahe Zukunft der Augenheilkunde: Prof. Dr. Friedrich E. Kruse über Trends und Perspektiven beim DGII-Kongress

Beim DGII-Kongress in Erlangen steht die Zukunft der Augenheilkunde im Fokus. Kongresspräsident Prof. Dr. Friedrich E. Kruse gibt Einblicke in bahnbrechende Entwicklungen bei Intraokularlinsen, refraktiven Verfahren und in der Hornhautchirurgie – und erklärt, warum die stationäre Versorgung ein unverzichtbarer Bestandteil der operativen Augenheilkunde bleiben muss.

Prof. Dr. Friedrich E. Kruse, Direktor der Universitätsaugenklinik Erlangen und Kongresspräsident DGII 2025
Prof. Dr. Friedrich E. Kruse, Direktor der Universitätsaugenklinik Erlangen und Kongresspräsident DGII 2025

Das Leitthema des diesjährigen DGII-Kongresses lautet „Augenheilkunde 2030 - Wo stehen wir in 5 Jahren?“. Welche Trends sehen Sie aktuell in der Entwicklung von Intraokularlinsen und in der refraktiven Therapie? 

Prof. Dr. Friedrich E. Kruse: Bezüglich der refraktiven Chirurgie spielen in naher Zukunft und auch in diesem Jahr Techniken, mit denen kerato-refraktive Lentikelextraktion (KLex) möglich sind sowie Techniken, mit denen das Hornhautvolumen durch künstliche Lentikel augmentiert und modifiziert werden kann, eine herausragende Rolle. Die aktuellen Entwicklungen auf diesem Gebiet werden in der Sitzung über „refraktive Hornhautchirurgie“ unter Vorsitz von Herrn Prof. Sekundo aus Marburg und Herrn Dr. Wagner aus Mainz am Samstagnachmittag zusammengefasst. Hier gibt es interessante Vorträge zu den aktuellen Techniken und auch ein Grundsatzreferat von Dr. Wagner über künstliche Lentikel: eine Alternative im Jahr 2025?

Bezüglich der Intraokularlinsen wird es in den nächsten Jahren viele interessante Entwicklungen geben, die ultimativ in der Entwicklung einer akkommodativen Intraokularlinse münden werden. Über diese Entwicklungen wird auf dem kommenden Kongress der DGII ausführlich berichtet. So wird unter Vorsitz von Prof. Auffarth aus Heidelberg und von Prof. Blum aus Erfurt in der Sitzung „Katarakt II“ am Samstagnachmittag spannende Vorträge über refraktive trifokale Optik, Multifokallinsen mit erweiterter Schärfentiefe und aberrationsneutrale Intraokularlinsen präsentiert. Darüber hinaus wird in der Sitzung über „Presbyopie und Intraokularlinsen“ am Samstagvormittag unter Vorsitz von Frau Dr. Baur aus Augsburg und Herrn Dr. Khoramnia aus Dresden Presbyopie-korrigierende Intraokularlinsen und neue hydrophobe, trifokale Optiken sowie die erweiterte Funktionalität durch die EDoF-Linsen-Technologie diskutiert. Zusätzlich wird Herr Prof. Auffarth ein sehr spannendes Referat über die EDoF-Linsen-Technologie präsentieren. Auch in der gemeinsamen englischsprachigen Sitzung von DGII und ESCRS wird über die Forschung im Bereich der Kunstlinsen eingegangen. Hierzu wird Frau Dr. Lapid-Gortzak aus Holland im Rahmen eines Referates „Innovations in IOL-Research“ eingehen und einen Einblick in die Zukunft der Intraokularlinsenforschung werfen.

In der Eröffnungssitzung wird Frau Dipl. Med.-Inf. Anke Wittrich von der Deutschen Krankenhausgesellschaft über die Kataraktchirurgie sprechen. Worum genau geht es in diesem Vortrag?

Der Vortrag wird die Rolle der Kataraktchirurgie im Spannungsfeld zwischen Ambulatisierung und stationärer Augenheilkunde beleuchten. Der Hintergrund ist, dass sich in den letzten Jahrzehnten eine kontinuierliche Entwicklung im Hinblick auf die Ambulatisierung augenärztlicher Operationen vollzogen hat. Während vorher nahezu alle intraokularen Eingriffe stationär in Hauptabteilungen oder Belegkliniken durchgeführt wurden, werden aktuell nahezu alle Patienten ambulant operiert. Trotzdem bildet die stationäre Versorgung einen unverzichtbaren Bestandteil der operativen Augenheilkunde und zwar zum einen unter dem Aspekt der optimalen Patientenversorgung und zum anderen unter dem Aspekt der Ausbildung, insbesondere operativ tätiger Augenärzte.

Die stationäre Versorgung erlangt gerade in Zeiten einer sich verändernden Gesellschaft mit immer älter werdenden und zunehmend multimorbiden und häufig auch alleinstehenden Patienten ohne Familie, insbesondere im ländlichen Raum, eine zunehmende Bedeutung. Diese wird durch den Strukturwandel von der inhabergeführten Einzelpraxis, in der eine gut ausgebildete Augenärztin auch komplexe Patienten in enger Patientenbindung betreut, hin zu MVZ’s in der Hand von institutionellen Investoren mit dem Schwerpunkt Kataraktchirurgie und IVOM dramatisch begünstigt. Die Anzahl von Patienten mit sehr komplexen ophthalmologischen Erkrankungen und internistischer Komorbidität, die in den aktuellen ambulanten Strukturen nicht mehr ausreichen behandelt werden können, nehmen jedes Jahr zu. So steigt die Auslastung der wenigen verbliebenen bettenführenden Kliniken ebenso kontinuierlich wie die Belastung des ärztlichen und pflegerischen Personals in den Notaufnahmen. Ein weiteres Problem ist in diesem Kontext eine adäquate Weiterbetreuung der Patienten. Im ländlichen Raum, in dem die augenärztliche Versorgung häufig exklusiv durch Investor-verwaltete MVZ’s durchgeführt wird, ist dies oft nicht mehr gegeben. Das führt dann auch zu einer sehr hohen Rezidivquote von chronischen Erkrankungen, beispielsweise Hornhautulcera. Hier stellt sich in Anbetracht der Gesundheitsreformen (z.B. Stichwort Hybrid-DRG) die Frage, wie und in welchem Umfang die teuren stationären Strukturen erhalten werden sollen und können.

Während die meisten Operationen naturgemäß ambulant durchgeführt werden, sind viele der ambulanten Operteure an Universitätskliniken bzw. bettenführenden Abteilungen und Belegkliniken ausgebildet worden. Die Aufrechterhaltung diesbezüglicher Lehrstrukturen, insbesondere für die komplexe Vorderabschnittschirurgie sowie die Orbitachirurgie und Strabologie ist für den Fortbestand unseres Faches von elementarer Bedeutung. Auch hier wird sich die Frage stellen, wie die entsprechenden Lehrstrukturen erhalten werden können. In ihrem Grundsatzreferat wird Frau Dipl. Med.-Inf. Anke Wittrich von der Deutschen Krankenhausgesellschaft im Rahmen der Eröffnungssitzung auch auf die Bedeutung der stationären Kataraktchirurgie im Spannungsfeld zwischen ambulanter Vergütung und DRG eingehen.

Welche Aspekte der operativen Therapie der Glaukome werden in Erlangen diskutiert?

Die traditionelle Glaukomsitzung ist in diesem Jahr unter dem Vorsitz von Frau Prof. Prokosch aus Köln und Herrn Prof. Lämmer aus Erlangen mit dem Titel „Glaukom und MIGS“ versehen. Sie greift also aktuelle Themen wie die trabekuläre Mikro-Bypass-Stent-Implantation und das Verhältnis zwischen Endothelzellverlust und Glaukomimplantaten auf. Neben spannenden Themen zur Operationstechnik wird auch der Zusammenhang zwischen Glaukom und Linsen sowie der Stellenwert der Trabekulektomie versus minimalinvasiver Glaukomchirurgie beleuchtet.

Sie zählen zu den Pionieren der endothelialen Descemet-Membran-Transplantation (DMEK). Welche Fortschritte auf dem Gebiet der Hornhauttransplantation werden auf dem Kongress besprochen?

Nachdem sich in der Hornhauttransplantationschirurgie abgesehen von der Anwendung immunologischer Erkenntnisse in den letzten 100 Jahren sehr wenig getan hatte, erleben wir seit ca. 15 Jahren eine Explosion der Techniken und eine faszinierende Verbesserung unserer operativen Möglichkeiten. In diesem Zusammenhang kann man die Entwicklung der DMEK getrost als einen Meilenstein betrachten, der insbesondere deshalb sehr wichtig ist, weil er das Bewusstsein für einen schichtspezifischen Ersatz erkrankter Hornhautstrukturen etabliert hat.

Die Hornhautchirurgie steuert in Riesenschritten auf den routinemäßigen Einsatz einer zellbasierten Behandlung zu. Neben aktuellen Weiterentwicklungen der DMEK, über die in zwei Sitzungen auf der DGII berichtet wird, gibt es große Fortschritte bezüglich einer Operation ohne Transplantat, bei der die erkrankte Descemet’sche Membran entfernt und die verbleibenden Patienten-eigenen Endothelzellen zur Wanderung animiert werden. Diese Methode des Descemet-Strippings funktioniert durch den Einsatz von Rho-Kinase-Inhibitoren, die derzeit sehr erfolgreich in klinischen Studien getestet werden.

Noch faszinierender ist der Einsatz isolierter Zellen für den schichtspezifischen Hornhautersatz. Hier ist zuvorderst die Implantation im Labor kultivierter, künstlicher Endothelzellen zu nennen, ein Verfahren, dass von Prof. Kinoshita in Kyoto entwickelt und in Japan bereits im vergangenen Jahr zugelassen wurde. Weiterführende Zulassungsstudien werden in den USA von der Firma Aurion Biotech durchgeführt. Mit dieser Methode können die beiden großen Erkrankungen Fuchs’sche Endotheldystrophie und bullöse Keratopathie so versorgt werden, dass eine einzige Spenderhornhaut für eine große Anzahl von Patienten verwendet werden kann. Dieses könnte auch potentiell den Spendermangel in vielen Entwicklungsländern ausgleichen. In Alternative zu den japanischen Verfahren werden in den USA gegenwärtig mit Magnetpartikeln beladene, im Labor gezüchtete Endothelzellen klinisch erprobt. Dieses Verfahren könnte ggf. auch eine Behandlung der Cornea guttata sein, wenn es gelingt die Endothelzellen selektiv in den Zwischenräumen zwischen den Guttae anzusiedeln. Ebenso zukunftsweisend ist die von Prof. Markovitz in Israel entwickelte künstliche Descemet’sche Membran, die EndoArt-Prothese. Diese wird in Europa bereits an mehreren Zentren, so auch in Erlangen für die Behandlung komplexer Hornhauterkrankungen, etwa der bullösen Keratopathie nach Glaukom-Operationen, angewandt.

Auf der DGII werden die hier skizzierten aktuellen Entwicklungen in einem Grundsatzreferat zusammengefasst, welches ich in der Sitzung Hornhaut II am Freitagnachmittag halten werde. Weitere Vorträge zur Weiterentwicklung der DMEK gibt es in der Sitzung Hornhaut I unter dem Vorsitz von Prof. Bachmann aus Köln und Herrn PD Dr. Augustin aus Heidelberg.

Künstliche Intelligenz und die algorithmusbasierte Datenanalyse gewinnen auch in der Augenheilkunde zunehmend an Bedeutung. Welche Anwendungen sind hier für die zukünftige Katarakt- und refraktive Chirurgie besonders relevant? Wie könnte KI Sie als Chirurg bei Ihren täglichen Aufgaben unterstützen?

KI hat schon jetzt einen Einzug in einige Bereiche der Augenheilkunde gehalten und unser Fach eignet sich wegen der vielen visuellen Inhalte sehr gut für die Anwendung derartiger Techniken. So ist naturgemäß das wichtigste Anwendungsgebiet die Bildverarbeitung und zwar insbesondere die Segmentierung und Auswertung von Netzhaut-OCT’s. Hier gibt es bereits praktikable Ansätze. Im Bereich des vorderen Augenabschnitts wird die KI Einzug in die routinemäßige Diagnostik von Erkrankungen halten, die mit Änderungen der Geometrie der Hornhaut zu tun haben. Hier sind zuvorderst der Keratokonus und verschiedene Formen der Keratektasie zu nennen. Somit könnte die KI refraktive Hornhautchirurgen im Rahmen einer personalisierten Diagnostik und Therapieplanung unterstützen. Auch bezüglich der Intraokularlinsen-Chirurgie könnten KI-gestützte Verfahren in Bälde die Berechnung von Kunstlinsen verbessern und eine personalisierte Intraokularlinsen-Chirurgie erlauben.

Um welches Thema wird es in der „Pro und Contra Diskussion“ mit der Retinologischen Gesellschaft gehen?

Die traditionelle Sitzung der Retinologischen Gesellschaft wird mit dem Referat über okuläre Brachytherapie von Frau Prof. Joussen aus Berlin eingeleitet. Prof. Mardin aus Erlangen wird den perioperativen Einsatz des OCT’s in der Katarakt-Chirurgie beleuchten. In der Pro und Contra Diskussion zwischen Prof. Scharioth aus Recklinghausen und Frau Priv.-Doz. Dr. Bopp aus Bremen werden die Vor- und Nachteile des refraktiven Linsenaustausches im Verhältnis zum Ablatio-Risiko beleuchtet.

Welche speziellen Angebote erwarten Weiterbildungsassistenten und junge Kolleginnen und Kollegen auf dem Kongress?

Der diesjährige Kongress enthält ein breitgefächertes Angebot für Augenärzte in der Weiterbildung. Dabei sollen jungen Ophthalmologen insbesondere Tipps für ihre operative Weiterbildung gegeben werden. Zwei Sitzungen unter dem Thema „Young DGII – Meilensteine auf dem Weg in die Ophthalmochirurgie“ widmen sich Themen wie der Anfänge der Katarakt-Operation, dem Einstieg in die Lidchirurgie und dem Einstieg in die Ablatio-Chirurgie. Für Fortgeschrittene gibt es ein Referat für Sekundärimplantationen.

Highlight der Young DGII-Sitzungen ist ein Grundsatzreferat des zweiten Vorsitzenden des BVA, Herrn Dr. Heinz aus Schlüsselfeld, zum Thema Nachwuchsförderung durch den Berufsverband. Zusätzlich werden Tipps für den ersten Hintergrunddienst sowie essentielle Lernzielressourcen für junge Ophthalmologen dargestellt. Beide Sitzungen finden am Samstagvormittag zwischen 9.00 und 10.30 Uhr statt.

Interview: Achim Drucks

DGII 2025
39. Kongress der Deutschsprachigen Gesellschaft für Intraokularlinsen-Implantationen, interventionelle und refraktive Chirurgie  

13.02. - 15.02.2025

Heinrich-Lades-Halle
Rathausplatz 1
91052 Erlangen