Urteil: Augenärztin in Privatpraxis mit Honorarbeteiligung — selbständig oder abhängig beschäftigt?

Eine Augenärztin war mit 35%-Honorarbeteiligung bei einer Privatpraxis tätig. Doch war sie selbständig oder abhängig beschäftigt? Dazu hat das Bundessozialgericht jetzt eine Entscheidung gefällt.

© Adobe Stock
© Adobe Stock

Der Fall

Eine Augenärztin war mit einem „Servicevertrag“ seit 2014 bei einer Privatpraxis tätig. Die Abrechnung gegenüber dem Finanzamt oblag ihr selbst. Die Ärztin verpflichtete sich zu einem einheitlichen Auftreten nach außen unter Verwendung der von der Privatpraxis entwickelten Formulare. Für die Nutzung der Praxisinfrastruktur trat die Augenärztin 65 % ihrer Einnahmen an die Privatpraxis ab. Die Praxis rechnete gegenüber den Patienten ab. Hinsichtlich der Arbeitszeit wurden der Augenärztin erhebliche Freiheiten eingeräumt. Die Ärztin haftete selbst gegenüber ihren Patienten. 

Die Deutsche Rentenversicherung Bund stufte die Tätigkeit der Augenärztin als abhängige Beschäftigung ein. 

Sozialgericht und Landessozialgericht sahen dies anders — die Augenärztin übernehme mit der Zahlung von 65 % Ihrer Einnahmen an die Praxis ein Unternehmerrisiko, sei nicht weisungsgebunden und nicht in den Praxisbetrieb eingegliedert, folglich sei sie selbständig tätig und unterliege damit nicht der Sozialversicherungspflicht. 

Die Entscheidung

Das Bundessozialgericht hob die Entscheidung des Landessozialgerichts auf und stellte fest, dass die Augenärztin abhängig beschäftigt war.

Maßgeblich waren dafür aus Sicht des Gerichts folgende Umstände:

  • die Augenärztin trug kein Verlustrisiko – sie musste nur einen Teil (65 %) ihrer Einkünfte abgeben, d. h. anders als bei einem echten Unternehmer entstanden ihr Kosten nicht auch dann, wenn keine oder nur ungenügende Einnahmen erzielt werden
  • die Augenärztin war auch in die Betriebsabläufe der Praxis der Klägerin eingegliedert. Sie war auf die Nutzung vorhandener räumlicher, personeller und sächlicher Infrastruktur angewiesen, ohne bei deren Auswahl, Kosten, Wartung oder Qualifikation eine Mitsprachemöglichkeit zu haben. Die Ärztin arbeitete mit dem Praxispersonal arbeitsteilig zusammen, konnte ihm nur fachliche Weisung erteilen und hatte keine Arbeitgeberfunktion. Sie war an die von der Praxis vorgegebenen Öffnungszeiten gebunden. Praxis und Ärztin traten zudem durch die Verwendung von der Praxis entwickelter Formulare gegenüber allen Patienten auch nach außen einheitlich auf. Das gesamte Patienten-Management erbrachte die Praxis, die Ärztin selbst vergab keine Termine und sagte sie auch nicht ab. Das Qualitätsmanagement wurde ebenfalls durch die Praxis sichergestellt und unterlag nur deren Anforderungen. 

Praxisanmerkung

Wie das Urteil zeigt, muss ein Arzt große Freiheiten genießen, damit er in einer Praxis oder Klinik selbständig beschäftigt sein kann: Er muss über seine Arbeitszeit frei verfügen können. Auch in der Art und Weise seiner Tätigkeit muss er völlig frei sein. Dies ist mit Dienstplänen und der Personalplanung von Praxen oder Kliniken mit mehreren Ärzten und medizinischen Helfern praktisch nur in Ausnahmefällen umsetzbar. Der Arzt muss dann auch als sein eigener Herr auftreten und selbst viel Verantwortung übernehmen z.B. in der Abrechnung und Verwaltung seiner Tätigkeit. Zudem muss der Arzt ein wirkliches Verlustrisiko tragen, d.h. er muss Geld verlieren können zum Beispiel durch eine echte Beteiligung an den laufenden Kosten oder das Tätigen von Investitionen.  

(Bundessozialgericht, Urteil vom 12.12.2023 - B 12 R 10/21 R)

Von Rechtsanwalt Philip Christmann, Fachanwalt für Medizinrecht, Berlin christmann-law.de