Bewegung im Blick: Innovation im visuellen Wahrnehmungstraining

Forschende an der Ludwig-Maximilians-Universität München entwickeln einen neuen Ansatz, wie man die Vorteile des visuellen Trainings auf das gesamte Sichtfeld ausweiten kann.

© Robina Weermeijer / unsplash
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Stetiges Training verbessert die Fähigkeiten menschlicher Wahrnehmung. Doch herkömmliche Trainingsmethoden im Bereich der visuellen Wahrnehmung sind bislang dadurch limitiert, dass sich nur in dem spezifischen Bereich des Sichtfelds, in dem geübt wurde, eine Verbesserung erzielen lässt. Dieses Phänomen ist als Ortsspezifität bekannt. 

Wer sich also nach einem Unfall von einem akuten Sehverlust erholt, muss während der Rehabilitationsprogramme sein Sehvermögen mühsam für verschiedene Teile des Blickfelds einzeln trainieren. Das liegt daran, dass das visuelle System die Welt räumlich geordnet verarbeitet. „Neuronen, die zwei benachbarte Bereiche im Blickfeld verarbeiten, befinden sich auch im Gehirn eng beieinander“, erklärt Prof. Zhuanghua Shi vom Lehrstuhl für Allgemeine und Experimentelle Psychologie der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). „Daher führt visuelles Training in der Regel zu einer Plastizität einer kleinen Gruppe von Neuronen, die einen ganz bestimmten Ort des Sichtfeldes abdecken.“

Code geknackt

Eine neue Studie, die ein Team von Forschenden rund um Shi kürzlich im Fachmagazin Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) veröffentlicht hat, bietet nun einen möglichen Lösungsansatz für diese Einschränkung. „Wir haben den Code geknackt, wie man die Vorteile des visuellen Trainings auf das gesamte Sichtfeld ausweiten kann“, so Shis Kollege Prof. Heiner Deubel. Im Gegensatz zu traditionellen Methoden, bei denen visuelle Reize lediglich an bestimmten Orten des Sichtfeldes gezeigt werden, haben die Teilnehmenden der Studie die visuellen Reize aktiv durch Bewegung ihrer Augen erkundet.

Das Wahrnehmungslernen wurde meist anhand von Reizen untersucht, die kurz präsentiert wurden, während der Beobachter den Blick auf eine Stelle gerichtet hielt. Im Alltag werden Reize jedoch aktiv durch Augenbewegungen erkundet, was zu aufeinanderfolgenden Projektionen desselben Reizes an verschiedenen Stellen der Netzhaut führt. 

Für die neue Studie wurde das Erlernen der Orientierungsunterscheidung über Sakkaden hinweg untersucht. Sakkaden sind sehr schnelle und kurze Bewegungen des Augapfels. Sie dienen dazu, den zentralen Bereich der Fovea auf Sehziele auszurichten. 

Die Versuchspersonen wurden darauf trainiert, zu einem peripheren Raster zu sakkadieren und die während der Sakkade auftretende Orientierungsänderung zu unterscheiden. Die Ergebnisse zeigten, dass das Training zu transsakkadischem Wahrnehmungslernen (Transsaccadic Perceptual Learning / TPL) und Leistungsverbesserungen führte, die sich nicht auf eine untrainierte Orientierung verallgemeinern ließen. Für die trainierte Orientierung konnten die Wissenschaftler eine vollständige Übertragung von TPL auf die untrainierte Position im gegenüberliegenden Halbfeld feststellen, was auf eine hohe Flexibilität der Referenzrahmenkodierung bei TPL schließen lässt.  

Drei Kontrollexperimente, bei denen die Teilnehmer ohne Sakkaden trainiert wurden, zeigten keine solche Übertragung, was bestätigt, dass die Ortsübertragung von den Augenbewegungen abhängig war. Darüber hinaus war die Leistung am trainierten Ort, nicht aber am untrainierten Ort, auch in einer untrainierten Fixationsaufgabe verbessert. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die TPL sowohl eine ortsspezifische Komponente hat, die vor der Augenbewegung auftritt, als auch eine sakkadenbezogene Komponente, die eine Standortgeneralisierung beinhaltet.

Gezielte Aktivierung von Augenbewegungen im Wahrnehmungslernen

Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass die gezielte Aktivierung von Augenbewegungen im Wahrnehmungslernen auf völlig andere Gehirnmechanismen zugreift als bisherige Methoden. „Das ist insbesondere für Programme zur visuellen Rehabilitation sehr interessant, die dadurch effektiver und weniger umständlich werden können “, so Shi.

Quelle: LMU

Originalarbeit: Lukasz Grzeczkowski, Zhuanghua Shi, Martin Rolfs & Heiner Deubel: Perceptual learning across saccades: Feature but not location specific. Proceedings of the National Academy of Sciences, 2023.