Bahnbrechende Zelltherapie für Erkrankungen des Hornhautendothels?

Im März 2023 hat die japanische Zulassungsbehörde Pharmaceuticals and Medical Devices Agency (PMDA) mit Vyznova™ erstmals eine Zelltherapie zur Behandlung von Patienten mit bullöser Keratopathie zugelassen. Klinische Studien in den USA und Europa sind in Planung.

Die gezüchteten Endothelzellen bilden eine Monolage. Bild: Aurion Biotech
Die gezüchteten Endothelzellen bilden eine Monolage. Bild: Aurion Biotech

Dr. Shigeru Kinoshita von der Kyoto Prefectural University of Medicine ist ein vielfach ausgezeichneter Wissenschaftler. Seit mehr als 30 Jahren erforscht er neue Therapien für Erkrankungen der Hornhaut. Dabei hat er ein Verfahren entwickelt, das, so Kinoshita, „das Potenzial hat, das Behandlungsparadigma für Erkrankungen des Hornhautendothels vollständig zu verändern“. Es handelt sich um die erste allogene Zelltherapie zur Behandlung von bullöser Keratopathie, die etwa in Folge einer Fuchs’schen Hornhautdystrophie auftreten kann. Dabei kommt es zu einem Verlust der Endothelzellen, so dass der Wasserhaushalt innerhalb der Cornea nicht mehr reguliert werden kann. Die tieferen Zellschichten wie das Stroma schwellen an und es bilden sich mit Flüssigkeit gefüllte Bullae auf dem Epithel.

Zellen eines Spenders für die Behandlung von 100 Empfängeraugen

Kinoshita und seinem Team ist es gelungen, ein mehrstufiges Verfahren zu entwickeln, mit dem Endothelzellen in vitro vermehrt werden können. Wichtiges Merkmal dieser Zellen ist, dass sie vollständig ausdifferenziert sind, d. h. sie besitzen alle inhärenten Eigenschaften von Endothelzellen. Dabei können die kultivierten Zellen eines Spenders für die Behandlung von mehr als 100 Empfängeraugen verwendet werden. 

Das Biotech-Unternehmen Aurion hat das Verfahren 2020 erworben und plant, die Gentherapie unter dem Namen VyznovaTM weltweit auf den Markt zu bringen. 2022 gab das Unternehmen mit Sitzen in Seattle, WA, Cambridge, MA, und Tokio bekannt, dass es von hochrangigen Investoren eine Finanzierung in Höhe von 120 Millionen US-Dollar erhält. Im gleichen Jahr wurde Aurion mit dem renommierten Prix Galien Award USA als Best Startup in der Kategorie „Biotech / Pharma“ ausgezeichnet.

Der potenzielle Markt für VyznovaTM ist groß:  Epidemiologen schätzen, dass mehr als 4 % der Erwachsenen über 40 Jahre, d. h. etwa 16 Millionen Menschen in den USA, der EU und Japan, an Erkrankungen des Hornhautendothels wie der Fuchs’schen Hornhautdystrophie leiden. Weitere Patienten erleiden Endothelzellschäden durch chirurgische Eingriffe am Auge.

Die neue Zelltherapie soll – so die Hoffnung der Forscher und von Aurion – die bisherigen Therapien wie die perforierende Keratoplastik bzw. die DMEK (Descemet membrane endothelial keratoplasty) ablösen. Die Behandlung sei wesentlich einfacher als eine komplexe Hornhauttransplantation, und mögliche Komplikationen wie Transplantatablösung oder -abstoßung, Astigmatismus oder Infektionen würden vermieden. Sobald die Zelltherapie weltweit zugelassen ist, könne sie dazu beitragen, den Mangel an Spenderhornhäuten zu beseitigen.

Das Verfahren

Zunächst wird durch einen Schnitt in die Vorderkammer das kranke Endothel des Patienten entfernt. In einer speziellen Suspension, die einen Rho-Kinase-Inhibitor enthält, werden die gezüchteten Endothelzellen mit einer 27-Gauge-Nadel intrakameral injiziert. „Dann legt sich der Patient für drei Stunden auf den Bauch, damit sich die Zellen einnisten und eine Monolage bilden können“, erläutert Dr. Edward Holland, Director of Cornea Services am Cincinnati Eye Institute, Professor für Augenheilkunde an der University of Cincinnati und wie Shigeru Kinoshita Mitglied des Advisory Board von Aurion. „Am nächsten Tag kann der Patient die meisten normalen Aktivitäten wieder aufnehmen.“

Die Studienergebnisse

Dr. Kinoshita und seine Kollegen führten eine erste Studie mit 11 Probanden mit bullöser Keratopathie durch. Die 2-Jahres-Ergebnisse wurden 2018, die 5-Jahres-Ergebnisse 2021 veröffentlicht. Zusammen mit einem US-amerikanischen Team von Hornhautchirurgen führte Dr. Holland von 2020 bis 2022 an der Clinica Quesada in San Salvador, El Salvador, die ersten Studien außerhalb Japans durch.

„Enorme anatomische und funktionelle Verbesserungen“

„Selbst bei extrem ödematösen Hornhäuten von Augen mit bullöser Keratopathie haben wir enorme anatomische und funktionelle Verbesserungen bei vollständiger Wiederherstellung des Sehvermögens festgestellt“, so Dr. Holland.  „Nach der Behandlung ist das Hornhautödem auf ein normales Maß zurückgegangen, und die Sehschärfe hat sich deutlich verbessert.“

Die japanische Arzneimittelbehörde erteilte die Zulassung für Vyznova auf der Grundlage der Ergebnisse, die bei 65 Patienten in drei klinischen Studien erzielt wurden. In der First-in-Human-Studie untersuchten die Forscher die Sicherheit einer intrakameralen Injektion. Sie berichteten, dass der Anteil der Patienten, die eine Endothelzelldichte von 1000 Zellen/mm2 oder mehr erreichten, 24 Monate nach der Behandlung bei 91 % lag; 85 % erreichten eine zentralen Hornhautdicke (CCT) von weniger als 630 Mikrometer und 94 % erzielten nach 24 Monaten eine Verbesserung des BCVA um ≥ 2 Zeilen. In der Bestätigungsstudie betrug der Anteil der Probanden, die nach 24 Wochen eine Hornhautendothelzelldichte von 1.000 Zellen/mm2 oder mehr erreichten, 100,0 %. Der Anteil der Probanden, die nach 24 Wochen eine CCT von weniger als 630 μm erreichten, lag bei 75 %; 100 % erreichten nach 24 Wochen eine Verbesserung des BCVA um ≥ 2 Zeilen.

Eine Dosis der kultivierten Endothelzellen wurde unabhängig von der Dosis in den drei Studien gut vertragen und wies ein günstiges Sicherheitsprofil auf. Es wurden keine behandlungsbedingten okulären oder systemischen schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse beobachtet.

In den USA bereitet Aurion Biotech die Einreichung eines Antrags auf ein neues Prüfpräparat (Investigational New Drug) vor, um klinische Studien zu beginnen, und in der Europäischen Union sind klinische Studien geplant.

Quellen:
Cell therapy may be on the horizon for corneal endothelial disease
A closer look at how cell therapy for corneal endothelial disease is gaining traction