US-Studie: Schlafende Zapfen behalten ihre Sehfunktion

Neue Forschungen am Mausmodell deuten darauf hin, dass aufgrund von Netzhautdegenerationen „schlafende“ Zapfen weiterhin funktionieren, auf Licht reagieren und Netzhautaktivitäten steuern.

Foto: Miranda Scalabrino / UCLA Health
Foto: Miranda Scalabrino / UCLA Health

Viele erbliche Netzhautdegenerationen führen letztendlich zum Absterben der Stäbchen. Doch auch wenn fast alle Stäbchen abgestorben sind, können die Zapfen am Leben bleiben. Sie fahren allerdings die Aktivitäten in wichtigen Bereichen herunter und erscheinen „schlafend“.  

Frühere Veröffentlichungen deuteten darauf hin, dass diese „schlafenden“ Zellen nicht funktionsfähig sind.  Bei Versuchen, Signale dieser Zellen aufzuzeichnen, konnten keine lichtgesteuerten Aktivitäten registriert werden. Doch eine neue Studie eines Forschungsteams der University of California (UCLA) zeigt jetzt erstmals, dass die Zellen noch funktionsfähig sind. Darüber hinaus weisen die aufgezeichneten Signale der Retina daraufhin, dass die visuelle Verarbeitung nicht so stark beeinträchtigt ist, wie man es vielleicht hätte erwarten können. Die Autoren sind der Ansicht, dass ihre Ergebnisse nahelegen, dass therapeutische Eingriffe zum Schutz dieser Zellen oder zur Verbesserung ihrer Empfindlichkeit ein nahezu normales Tagessehen ermöglichen könnten. Ihre Studie wurde in der Fachzeitschrift Current Biology veröffentlicht. 

„Während die Sensitivität der Zapfen um das 100- bis 1000-fache geringer war als normalerweise, waren wir überrascht, dass der Rückgang der Sensitivität bei den retinalen Ganglienzellen, die Information vom Auge ins Gehirn senden, viel geringer war“, erklärt Hauptautor Prof. Alapakkam Sampath vom UCLA Jules Stein Eye Institute. „Es scheint, dass Anpassungsmechanismen in der inneren Retina versuchen, den Empfindlichkeitsunterschied zu minimieren, um eine robuste Signalübertragung in den Ganglienzellen aufrechtzuerhalten – dies entspricht dem, was wir über das Gehirn wissen. Homöostatische Mechanismen, die auf Verletzungen und Krankheiten reagieren, überdecken in der Regel die Defizite. Deshalb ist es schwierig, neurologische Probleme zu erkennen, bis der Mangel sehr schwerwiegend wird."

Das Forscherteam untersuchte die Membraneigenschaften von Zapfen nach der Degeneration von Stäbchen am Mausmodell mithilfe der Patch-Clamp-Technik. Mit diesem elektrophysiologischen Messverfahren lassen sich Ströme durch einzelne Ionenkanäle von lebenden Nerven- und Muskelzellen messen. Mit Aufzeichnungen von Vorgängen in einzelnen Zellen können wichtige Informationen über ihre Aktivität gewonnen werden – etwa das Vorhandensein spezifischer Membranströme, die Frage, ob die Zelle auf Licht reagiert, und ob sie möglicherweise mit nachgeschalteten Neuronen in der Retina verbunden ist. Darüber hinaus verwendeten die Forscher Aufzeichnungen von Mikroelektrodenarrays. Diese Geräte erfassen die Aktivität aller retinalen Ganglienzellen – so auch deren Fähigkeit, auf visuelle Reize zu reagieren. 

Die Aufzeichnungen zeigten, dass die verbliebenen Zapfen in einer Retina mit größtenteils degenerierten Stäbchen noch funktionsfähig sind, allerdings mit einer geringeren Empfindlichkeit. Diese Zellen weisen nach wie vor viele Merkmale normaler Zapfen auf, darunter ein ähnliches Ruhemembranpotential, einen normalen synaptischen Ca2+-Strom und die Reaktion auf Lichtsignale, obwohl ihnen der Teil der Zelle fehlt, von dem man bislang annahm, dass er für diese Reaktion benötigt wird. Darüber hinaus behalten die Ganglienzellen ihre Fähigkeit, auf visuelle Reize mit ähnlicher räumlicher und zeitlicher Empfindlichkeit zu reagieren. 

„Diese wichtigen Ergebnisse könnten einen künftigen Weg für Patienten mit Erkrankungen aufzeigen, von denen man annahm, dass sie zu irreversibler Netzhautblindheit führen, da man bisher davon ausging, dass die Lebensfähigkeit der Photorezeptoren oder Zapfen im Gewebe irreparabel geschädigt ist“, sagte Dr. Steven Schwartz, der Leiter der Retina Division am UCLA Jules Stein Eye Institute.   

Der nächste Schritt für die Forscher besteht darin, festzustellen, inwieweit die Neuroprotektion oder die Aktivierung der schlafenden Zapfen die Rettung des Sehvermögens bei verschiedenen Formen der Erblindung ermöglichen wird. 

Quelle: UCLA Health 
Originalarbeit: Cones and cone pathways remain functional in advanced retinal degeneration