IQWiG: Digitales Sehtraining bei Schwachsichtigkeit verbessert Sehleistung von Kindern und Jugendlichen kaum

Im Auftrag des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Deutschland und Österreich unter der Federführung des Instituts für Evidenz in der Medizin am Universitätsklinikum Freiburg die Frage untersucht, ob Kinder und Jugendliche mit entwicklungsbedingten Sehstörungen von einem aktiven Sehtraining profitieren können.

© pexels / ron lach
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Zu nicht digitalem Sehtraining oder Sehtraining bei anderen entwicklungsbedingten Sehstörungen liegen laut finalem ThemenCheck-Bericht keine Studien vor.

Das Wissenschaftsteam hat 17 Studien zu digitalen Sehtrainings bei Schwachsichtigkeit identifiziert. Daraus ergibt sich aber sich keine eindeutige Aussage zum Nutzen eines aktiven Sehtrainings bei Kindern und Jugendlichen mit Schwachsichtigkeit. Zwar zeigen einzelne Studien, dass mit digitalem Training die Sehschärfe des schwächeren Auges bei Kindern mit Schwachsichtigkeit verbessert werden kann – der nachgewiesene Effekt war aber so klein, dass er für die Betroffenen keinen spürbaren Vorteil hatte. Für nicht digitale Trainings liegen keine Studienergebnisse vor.

Anfrage einer Bürgerin war Ausgangspunkt des HTA-Berichts

Das scharfe und räumliche Sehen entwickelt sich bei Kindern bis zum vollendeten 9. Lebensjahr. Allerdings sind viele Kinder und Jugendliche von entwicklungsbedingten Sehstörungen wie Schwachsichtigkeit (Amblyopie), Kurz- oder Weitsichtigkeit betroffen. So weisen in Europa knapp vier Prozent der Bevölkerung eine Schwachsichtigkeit auf; von einer mit Sehhilfen kompensierten Kurzsichtigkeit sind in Deutschland etwa elf Prozent aller Heranwachsenden im Alter zwischen 0 und 17 Jahren betroffen. Wird eine Schwachsichtigkeit (etwa hervorgerufen durch Schielen) nicht ausreichend behandelt, kann z. B. das räumliche Sehen und damit auch die Lebensqualität dauerhaft eingeschränkt sein.

Kinder mit Schwachsichtigkeit bekommen derzeit meist eine Okklusionsbehandlung. Auch digitale Sehtrainings (etwa in Form von speziellen Videospielen, die z. B. das Zusammenspiel beider Augen verbessern sollen) werden für Kinder mit Schwachsichtigkeit oder anderen entwicklungsbedingten Sehstörungen angeboten. Zusätzlich gibt es nicht digitale Sehtrainings, bei denen Kinder unter professioneller Anleitung über einen längeren Zeitraum regelmäßig Sehübungen machen, um so zum Beispiel das Fixieren oder Scharfstellen zu trainieren.

Vor diesem Hintergrund fragte die Bürgerin beim ThemenCheck Medizin danach, in welchen Situationen Kinder und Jugendliche mit Sehproblemen von einem Sehtraining profitieren können.

Das vom IQWiG beauftragte Expertenteam hat untersucht, ob Kinder und Jugendliche, die unter einer entwicklungsbedingten Sehstörung leiden, mit aktiven Sehtrainings erfolgreich behandelt werden können. Dies wäre insbesondere der Fall, wenn sich die Sehschärfe und das beidäugige Sehen durch aktive Teilnahme in einem relevanten Umfang verbessern.

17 Studien zu digitalen Sehtraining bei Schwachsichtigkeit identifiziert

Die von den externen Sachverständigen identifizierten 17 Studien befassten sich alle mit digitalen Sehtrainings bei Schwachsichtigkeit.

Für das Kriterium „bestkorrigierte Sehschärfe des schwächer sehenden Auges“ zeigen die Studien einen Vorteil des digitalen Sehtrainings im Vergleich zu keinem Training, einem Scheintraining oder zur Okklusionsbehandlung. Die gemessenen Sehschärfen-Unterschiede bei diesen Vergleichen waren aber so gering, dass die Betroffenen – so die externen Sachverständigen – keinen spürbaren Vorteil hatten. Auch das Zusammenspiel beider Augen besserte sich durch das Training nicht: weder im Vergleich zu keinem Training, noch zum Scheintraining oder zur Okklusionsbehandlung.

Das vorübergehende Abkleben eines Auges bei Schwachsichtigkeit kann für Heranwachsende und ihre Familien belastend sein, etwa wenn dies zu einer Stigmatisierung der Betroffenen und in der Folge zu einer Ablehnung der Therapie führt. Ein Ersatz oder zumindest ein Verkürzen der Okklusionstherapie durch digitales Training könnte daher möglicherweise zu einer Entlastung der Betroffenen beitragen. Derzeit stellen aber die vorhandenen und in Studien untersuchten digitalen Sehtrainings keine Alternative oder Ergänzung zur Okklusionsbehandlung dar.

Zu nicht digitalen Sehtrainings und zu Sehtrainings bei anderen entwicklungsbedingten Sehstörungen wie Kurz- und Weitsichtigkeit oder starkes Schielen gibt es keine Studien. Für diese Sehtrainings (deren Kosten meist von den Eltern selber getragen werden müssen) wäre es wünschenswert, dass sie nur dann angeboten werden, wenn in Studien gezeigt wurde, das Betroffene tatsächlich davon profitieren.

ThemenCheck Medizin

Interessierte Einzelpersonen können im Rahmen des ThemenCheck Medizin Vorschläge für die Bewertung von medizinischen Verfahren und Technologien einreichen. In einem zweistufigen Auswahlverfahren, an dem auch Bürgerinnen und Bürger beteiligt sind, werden aus allen eingereichten Vorschlägen jedes Jahr bis zu fünf neue Themen ausgewählt. Laut gesetzlichem Auftrag sollen dies Themen sein, die für die Versorgung von Patientinnen und Patienten von besonderer Bedeutung sind.

Die ThemenCheck-Berichte werden nicht vom IQWiG selbst verfasst, sondern von externen Sachverständigen. Deren Bewertung wird gemeinsam mit einer allgemein verständlichen Kurzfassung und einem IQWiG-Herausgeberkommentar veröffentlicht.

Zum HTA-Bericht Entwicklungsbedingte Sehstörungen – Profitieren Kinder und Jugendliche von aktivem Sehtraining?

Quelle: IQWiG