Long COVID: Sind Störungen der Mikrozirkulation verantwortlich? Wie kann der Augenarzt die Erkrankung heilen?

Augenärzte des Universitätsklinikums in Erlangen sind an einer Studie beteiligt, die untersucht, ob der Wirkstoff BC 007 zur wirksamen Behandlung von Long COVID geeignet ist.

Unsplash
Unsplash

Text: Privatdozentin Dr. med. Dr. rer. biol. hum. Bettina Hohberger, Fachärztin für Augenheilkunde und Molekularmedizinerin, Klinik für Augenheilkunde, Universitätsklinikum Erlangen

„Seit einem Jahr fühle ich mich wie ein Käfer, der auf dem Rücken liegt und kaum etwas tun kann.“ – „Selbstständiges Stehen und Laufen ist schon sehr lange nicht mehr möglich.“ – „Ich bin aktuell bei meinen Eltern, da ich den Alltag nicht selber bewältigen kann.“ Was Menschen, die noch Monate nach einer überstandenen COVID-19-Infektion über anhaltende Symptome berichten, ist erschreckend. Erschöpfung, Gedächtnisstörungen, Gleichgewichtsstörungen, anhaltender Geschmacksverlust, erhöhter Blutdruck – solche Probleme quälen viele Betroffene, die an Long COVID leiden. Der Handlungsbedarf ist groß.  

Erfolgreiche Heilversuche bei vier Patienten 

Erste erfolgreiche Heilversuche an vier Patienten machen Hoffnung auf eine wirksame Behandlung für Menschen mit Long COVID. Die Phase-IIa-Studie wird, aufbauend auf der laufenden reCOVer-Studie (retina Post-COVID-19 Erlangen) nun genauer untersuchen, ob der Wirkstoff BC 007, der diesen vier Patienten half, eine geeignete Therapie ist. Augenärzte des Universitätsklinikums in Erlangen sind als Mitglieder eines interdisziplinären Teams von Ärzten und Grundlagenwissenschaftlern maßgeblich an der Studie beteiligt. Zugleich entwickeln sie das Versorgungskonzept disCOVer. Es trägt mit einer gezielten Diagnostik dazu bei, dass jeder Patient die für ihn optimale Therapie bekommt. 

Was verursacht die Beschwerden bei Long COVID? 

Bei manchen Patienten kommt es im Zuge der Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus zur Bildung von Autoantikörpern gegen G-Protein-gekoppelte Rezeptoren. Zudem lässt sich beobachten, dass vergrößerte und deformierte Blutzellen die Mikrozirkulation behindern und so die langanhaltenden Beschwerden auslösen könnten. Als diagnostisches Fenster in den Körper erweist sich dabei die Mikrozirkulation in der Netzhaut des Auges: Mit dem Verfahren der OCT-Angiografie lässt sich die Durchblutung der feinen Gefäße im Auge bildlich darstellen. Die Untersuchung erfolgt berührungslos und belastet die Patienten wenig. Zudem war aufgefallen: Bei Patienten, die eine SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht haben, lässt sich eine Korrelation zwischen einer verringerten retinalen Mikrozirkulation in der Netzhaut und der Schwere der Erkrankung feststellen. 

Wie kam es zu dem ersten Behandlungsversuch? 

Der Wirkstoff BC 007 wurde vor einigen Jahren für Patienten mit einer schweren Herzerkrankung in eine Zulassungsstudie gebracht. Er neutralisiert die schädlichen Autoantikörper gegen G-Protein-gekoppelte Rezeptoren. Solche Autoantikörper finden sich auch bei Glaukom-Patienten. Es ist bekannt, dass sie die Durchblutung des Auges beeinträchtigen können. 

Ein 59-jähriger Glaukom-Patient, der nach überstandener Corona-Infektion über gravierende Langzeitfolgen klagte, war der erste Patient, bei dem der Heilversuch unternommen wurde. Er erhielt das Präparat bei einer 75-minütigen Infusion und blieb anschließend drei Tage lang zur Kontrolle im Krankenhaus. Schon innerhalb von wenigen Stunden zeigte sich eine Besserung. Der Patient erholte sich, die Konzentrationsstörungen schwanden, die Leistungsfähigkeit stieg an und der Geschmackssinn kehrte zurück. Die Durchblutung der Kapillaren zeigte sich deutlich verbessert. Die Autoantikörper waren erfreulicherweise nicht mehr nachweisbar. 

Auf den ersten Heilversuch im Sommer folgten drei weitere, die ebenfalls erfolgreich verliefen. Besonders stark betroffen war eine 39-jährige Grundschullehrerin, die unter massiver Abgeschlagenheit, Gleichgewichts-, Koordinations-, Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen sowie an Geschmacksstörungen litt. Zeitweise Lähmungserscheinungen in einer Hand und in einem Fuß kamen dazu. Ihre neurologischen Symptome besserten sich aufgrund der Behandlung. Nun soll in Kürze die vom BMBF gefördertere COVer-Studie systematisch anfangen zu prüfen, ob und dank welcher Mechanismen BC 007 den Long-COVID-Patientinnen und -Patienten helfen könnte. Die Studie wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit 1,2 Millionen Euro unterstützt. 

disCOVer: Genau untersuchen – zielgerichtet behandeln 

Voraussetzung dafür, dass jede Patientin und jeder Patient die optimale Therapie erhält, ist eine genaue Diagnostik. disCOVer (Diagnosis Post-COVID-19 Erlangen) kann die Basis für ein deutschlandweit einsetzbares Versorgungskonzept werden. Folgende Schritte umfasst das Konzept: 

  • In einer Videosprechstunde werden Fragen zur Anamnese und zur Erschöpfungssymptomatik (CFS-Fragebogen) geklärt, weitere Tests wie etwa ein Konzentrationstest helfen, Personen mit Long COVID zu identifizieren. 
  • Bei bestätigtem Long-COVID-Verdacht folgen weitere Untersuchungen: Mit der OCT-Angiografie wird die Mikrozirkulation der Netzhaut erfasst, es wird bestimmt, ob Autoantikörper vorhanden sind und wie die Blutzellen beschaffen sind. Die Aktivität der T-Zellen ist ein weiterer Befund, der erhoben wird. Hinzu kommen internistische Untersuchungen von der Herzechografie über einen Lungenfunktionstest, ein EKG bis hin zur Lungendiffusionsdiagnostik. 
  • Je nach Befund folgen nun therapeutische Maßnahmen. 
  • Liegen Organschäden vor, profitieren die Patienten von einer gezielten Rehabilitation. 
  • Falls noch eine Aktivität der T-Zellen festgestellt wird, muss man davon ausgehen, dass im Körper noch geringe Virusmengen aktiv sind, die diese Immunaktivierung auslösen. In diesem Fall wird eine Booster-Impfung empfohlen, um dem Immunsystem zu helfen, die Viren auszulöschen. 
  • Lassen sich Autoantikörper nachweisen, dann ist von einer viral induzierten Autoimmunreaktion auszugehen und es folgt 
  • die Behandlung zur Neutralisierung der Autoantikörper mit zum Beispiel BC 007.  

Fazit 

Post-COVID bezeichnet langanhaltende Beschwerden nach einer Infektion mit dem SARS CoV-2-Virus. Es ist davon auszugehen, dass bestimmt mindestens etwa 30 Prozent der Betroffenen ihre ursprüngliche Leistungsfähigkeit nicht wieder erreichen. Eine fehlgeleitete Immunreaktion scheint bei einem Teil der Patienten die Beschwerden zu verursachen. In einer Phase-IIa-Studie soll nun untersucht werden, ob ein Medikament, das Autoantikörper gegen G-Protein-gekoppelte Rezeptoren neutralisiert, Post-COVID heilen kann. Mit einer genauen Diagnostik und einem strukturierten Versorgungskonzept soll allen Betroffenen der Weg zu der für sie optimalen Behandlung gebahnt werden.

Weitere Informationen zu den aktuell laufenden Studien

Dieser Text von Privatdozentin Dr. med. Dr. rer. biol. hum. Bettina Hohberger, Fachärztin für Augenheilkunde und Molekularmedizinerin, Klinik für Augenheilkunde, Universitätsklinikum Erlangen, erschien anlässlich der Kongress-Pressekonferenz zur DOG 2022.