OTC-Arzneimittel: Welche Ausnahmen gibt es für die Verordnung und wann drohen Prüfungen?

OTC-Medikamente sind zwar apotheken-, nicht aber verschreibungspflichtig und können auch ohne ärztliches Rezept gekauft werden. Doch es gibt Ausnahmen vom grundsätzlichen Ausschluss der Verordnungsfähigkeit.

christina victoria craft / unsplash
christina victoria craft / unsplash

Apothekenpflichtige, nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel, sogenannte OTC-Arzneimittel, sind seit dem 01.01.2004 grundsätzlich per Gesetz (§ 34 Abs. 1 SGB V) von der Verordnungsfähigkeit auf Kosten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ausgeschlossen. Die Abkürzung OTC steht für „over the counter“, also „über den Tresen“ (der Apotheke). Damit sind Medikamente gemeint, die zwar apotheken-, nicht aber verschreibungspflichtig sind und somit auch ohne ärztliches Rezept in der Apotheke gekauft werden können. Doch es gibt Ausnahmen vom grundsätzlichen Ausschluss der Verordnungsfähigkeit. Zudem gilt es, dabei eine unwirtschaftliche Verordnungsweise zu vermeiden. 

Ausnahmen, in denen OTC-Arzneimittel verordnungsfähig sind

Von dem erwähnten Verordnungsausschluss für OTC-Arzneimittel ausgenommen sind zwei Fälle:

  • Verordnungen für Kinder bis zum vollendeten 12. Lebensjahr und für Jugendliche mit Entwicklungsstörungen bis zum vollendeten 18. Lebensjahr.
  • Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten und die der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in die sogenannte OTC-Ausnahmeliste (Anlage I der Arzneimittel-Richtlinie [AM-RL]) aufgenommen hat. Diese darf der Arzt dann ausnahmsweise mit Begründung bei den genannten Erkrankungen verordnen.

Regelungen der AM-RL zur Verordnung von OTC-Arzneimitteln

In § 12 AM-RL finden sich die Vorgaben zur Verordnung apothekenpflichtiger, nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel. Hier erfolgt auch die Definition der vom Gesetzgeber verwendeten Begriffe „schwerwiegende Erkrankung“ und „Therapiestandard“ (Übersichtsbeitrag zur AM-RL in AAA 07/2022, Seite 11).

  • Eine Krankheit ist danach schwerwiegend, wenn sie lebensbedrohlich ist oder wenn sie aufgrund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörung die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt.
  • Zudem gilt ein Arzneimittel als Therapiestandard, wenn der therapeutische Nutzen zur Behandlung der schwerwiegenden Erkrankung dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht.

Schwerwiegende Erkrankungen und Standardtherapeutika zu deren Behandlung sind in Anlage I AM-RL Zugelassene Ausnahmen zum gesetzlichen Verordnungsausschluss nach § 34 Abs.1 SGB V (OTC-Ausnahmeliste) aufgeführt. Insgesamt werden dort mehr als 40 Arzneimittel aufgeführt. Dazu zählen beispielsweise die folgenden:

    6. Antihistaminika 

  • nur in Notfallsets zur Behandlung bei Bienen-, Wespen-, Hornissengift-Allergien,
  •  nur zur Behandlung schwerer, rezidivierender Urtikaria,
  •  nur bei schwerwiegendem, anhaltendem Pruritus,
  •  nur zur Behandlung bei persistierender allergischer Rhinitis mit schwerwiegender Symptomatik, bei der eine topische nasale Behandlung mit Glukokortikoiden nicht ausreichend ist.

    11. Calciumverbindungen (mind. 300 mg Calcium-Ionen/Dosiereinheit) und Vitamin D (freie oder fixe Kombination) sowie Vitamin D als Monopräparat bei ausreichender Calciumzufuhr über die Nahrung

  •  nur zur Behandlung der manifesten Osteoporose,
  •  nur zeitgleich zur Steroidtherapie bei Erkrankungen, die voraussichtlich einer mindestens sechsmonatigen Steroidtherapie in einer Dosis von wenigstens 7,5 mg Prednisolonäquivalent bedürfen, 
  •  bei Bisphosphonat-Behandlung gemäß Angabe in der jeweiligen Fachinformation bei zwingender Notwendigkeit.

    41. Synthetische Tränenflüssigkeit

  • bei Autoimmun-Erkrankungen (Sjögren-Syndrom mit deutlichen Funktionsstörungen [trockenes Auge Grad 2], Epidermolysis bullosa, okuläres Pemphigoid), Fehlen oder Schädigung der Tränendrüse, Fazialisparese oder bei Lagophthalmus.

Für die in Anlage I aufgeführten Erkrankungen können bei schwerwiegenden Erkrankungen auch Homöopathika und Anthroposophika verordnet werden, sofern die Anwendung als Therapiestandard in der jeweiligen Therapierichtung angezeigt ist.

Nicht indikationsbezogene Sonderregelungen/Öffnungsklauseln

Daneben gibt es Sonderregelungen für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel, die entweder als Begleitmedikation zwingend vorgeschrieben sind oder die bei verordnungsfähigen Arzneimitteln zur Behandlung schwerwiegender unerwünschter Wirkungen benötigt werden. Zulasten der GKV sind somit nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel verordnungsfähig,

  • die als Begleittherapie für eine zulasten der GKV verordnungsfähige Haupttherapie in deren Fachinformation zwingend vorgeschrieben sind oder
  • die zur Behandlung der beim bestimmungsgemäßen Gebrauch eines zulasten der GKV verordnungsfähigen Arzneimittel auftretenden unerwünschten Arzneimittelwirkungen eingesetzt werden, sofern diese schwerwiegend sind.

Achtung: wichtig für Wirtschaftlichkeitsprüfungen

Nach § 12 Abs. 11 AM-RL sollen nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel zulasten des Versicherten verordnet werden, wenn sie zur Behandlung einer Erkrankung medizinisch notwendig, zweckmäßig und ausreichend sind (Vorrang frei verkäuflicher Arzneimittel zulasten des Patienten vor rezeptpflichtigen Arzneimitteln zulasten der GKV). Wenn die Voraussetzungen für eine Verschreibung eines Arzneimittels gemäß der OTC-Ausnahmeliste nicht gegeben sind, kann die alternative Verordnung eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels unwirtschaftlich sein!

Die Krankenkassen haben beispielsweise bei der Verordnung verschreibungspflichtiger Antihistaminika viele Prüfanträge mit dieser Begründung gestellt. Sinngemäß hieß es, die Vorgaben für eine ausnahmsweise Verordnung der nicht verschreibungspflichtigen Antihistaminika hätten nicht vorgelegen (siehe oben, Nr. 6 der OTC-Ausnahmeliste), auch wenn die vorliegende Erkrankung damit hätte behandelt werden können. Die alternative Verordnung eines verschreibungspflichtigen Antihistaminikums war dann jedoch unwirtschaftlich.

Praxistipp: Prüfen Sie bei der Verordnung von OTC-Präparaten für Kinder und Jugendliche mit Entwicklungsstörungen, ob nach Anlage III AM-RL dazu Hinweise zur Wirtschaftlichkeit zu beachten sind (siehe Schaubild Verordnungsalgorithmus).