Myopie Management: Gemeinsam zum Erfolg

Eine Myopie begünstigt die Entstehung ernsthafter Augenerkrankungen wie Netzhautablösung oder Glaukom. Deshalb gilt es, das Voranschreiten einer Kurzsichtigkeit möglichst früh zu stoppen – mit einem konsequenten Myopie Management, bei dem alle Beteiligten zusammenarbeiten.

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Sie ist ein globales Problem. In den letzten Jahren hat die Myopie insbesondere in Ostasien stark zugenommen. In Ländern wie Singapur und China liegt die Rate unter jungen Erwachsenen bei über 80 %. In Europa ist die Lage weniger dramatisch. Hier liegt die Rate bei knapp unter 50 %. Die viel zitierte, 2016 erschienene Studie des australischen Ophthalmologen Brien A. Holden, “Global Prevalence of Myopia and High Myopia and Temporal Trends from 2000 through 2050”, prognostiziert, dass 2050 die Hälfte der Weltbevölkerung an Kurzsichtigkeit leidet. Der Anteil mit hoher Myopie (< −6 Dioptrien [dpt]) wird dabei auf 10 % geschätzt. Diese ist neben dem Lebensalter der Hauptrisikofaktor für degenerative Augenerkrankungen wie Katarakt, Glaukom, Netzhautablösung oder myope Makuladegeneration. Konsequenz dieser Entwicklung wären enorme Kosten für die Gesundheitssysteme – und noch mehr Arbeit für die Augenärzte, deren Praxen durch den Anstieg altersbedingter Augenerkrankungen oft schon überlastet sind.

Der dramatische Anstieg in Asien ist einfach zu erklären: „Hier verbringen Kinder sehr viel Zeit in geschlossenen Räumen, um zu lernen. Dies ist der Hauptgrund für die stark verbreitete Myopie in Fernost“, so Prof. Wolf Lagrèze, Leitender Arzt der Sektion Neuroophthalmologie, Kinderophthalmologie und Schielbehandlung an der Klinik für Augenheilkunde am Universitätsklinikum Freiburg. Denn neben der genetischen Veranlagung – das Risiko, selbst kurzsichtig zu werden, liegt bei Kindern, deren beide Elternteile myop sind, bei 60 % – wirken sich vor allem Umweltfaktoren wie Bildung und Freizeitgestaltung auf die Entwicklung von Kurzsichtigkeit aus. 

Zu viel Naharbeit aber auch ein zu häufiger Aufenthalt in Innenräumen scheinen das Längenwachstum des Auges zu fördern. Zu geringe Lichtmengen führen im Auge zu einem Dopaminmangel, der nach aktuellen Hypothesen zur Myopie führt. Wesentlicher präventiver Faktor ist dagegen Tageslicht, das ca. 100 mal intensiver ist als Raumbeleuchtung. In Taiwan hat man die Lichtverhältnisse in den Innenräumen von Schulen verbessert und den Kindern vermehrte Aufenthalte im Freien ermöglicht. Mit Erfolg: Hier gehen die Zahlen der Kurzsichtigen unter den Grundschülern zurück. Und auch Sport, besonders im Freien, kann sich positiv auf die Sehentwicklung auswirken – auf Grund der beständig wechselnden Fokussierung der Augen auf verschiedene Distanzen.

Von daher beginnt das Myopie Management mit der Aufklärung von Eltern und Kindern über diese Möglichkeiten, der Kurzsichtigkeit entgegenzuwirken. Doch Augenärzte, Optiker und Optometristen können mehr tun. Inzwischen gibt es verschiedene Möglichkeiten, die Progression der Myopie zu verlangsamen – optisch durch spezielle Kontaktlinsen und Brillengläser sowie pharmakologisch durch Atropin. Bislang ist der Wirkstoff aus der Tollkirsche, dessen Wirksamkeit Untersuchungen in Asien wie etwa die ATOM-Studie (Atropine in the treatment of myopia) aus Singapur belegt haben, in Deutschland nicht für die Myopie-Behandlung zugelassen. Die Kosten für diese Off-Label-Therapie werden von der GKV deshalb nicht erstattet. 

Die Atropintropfen für kurzsichtige Kinder werden in der entsprechenden Konzentration in Apotheken individuell angemischt. Die fehlende Standardisierung ist allerdings ein Problem, wie Dr. Hakan Kaymak, Düsseldorf, in seinem Vortrag auf dem EYEFOX Myopie Symposium betont. Er hat Tropfen aus 5 verschiedenen Apotheken untersucht, die sich in ph-Wert und Osmolarität, aber auch im Tropfenvolumen teilweise deutlich unterschieden.

Aktuell läuft zum Thema Atropin die bundesweite, von der DFG geförderte AIM-Studie unter Leitung von Prof. Lagrèze. Neben dem Universitätsklinikum Freiburg beteiligen sich 17 weitere Zentren an der randomisierten Studie, die die Wirksamkeit und Sicherheit von 0,01 % und 0,02 % Atropin-Augentropfen im Vergleich zu Placebo-Tropfen in einer nicht-asiatischen Population an Kindern im Alter zwischen 8 und 12 Jahren untersucht. Ziel ist es, den Nutzen des zunehmenden Einsatzes von niedrig dosiertem Atropin bei Kindern zu belegen und klinische Richtlinien zu entwickeln. Ca. 10 % der Kinder werden von dieser Therapiemöglichkeit allerdings nicht profitieren – sie sind Non-Responder.

Neben neu entwickelten Brillengläsern zählen orthokeratologische Linsen (Ortho-K-Linsen) und weiche multifokale Kontaktlinsen zu den optischen Möglichkeiten, das Fortschreiten der Kurzsichtigkeit deutlich zu reduzieren bzw. zu stoppen. Orthokeratologie ist die kontrollierte Veränderung der Hornhautform durch spezielle formstabile Kontaktlinsen. Sie können geringe und mittlere Kurzsichtigkeiten bis ca. -6.00 dpt durch das Tragen über Nacht so korrigieren, dass am Folgetag das Sehen ohne zusätzliche Sehhilfe möglich ist. Die weichen Spezial-Kontaktlinsen werden tagsüber getragen. Sie sind aber eher für ältere Kinder geeignet, die den sorgfältigen und hygienischen Umgang mit Kontaktlinsen beherrschen. Kontaktlinsen für Kinder müssen in jedem Fall von einem Optiker oder Augenarzt angepasst werden, damit die Linsen auch wirklich für das individuelle Kind geeignet sind. 

Die neuen peripher defokussierenden Brillengläser gelten als Gamechanger in Sachen Myopie-Management. Zu nennen sind hier MiYOSMART von HOYA Vision Care, das seit 2021 auf den deutschen Markt ist, und Stellest von Essilor, das ein Jahr später folgte. Studien belegen, dass beide Gläser die Myopieprogression effektiv hemmen. Das verringerte jährliche Augenlängenwachstum stellt sich besonders bei einer täglichen Tragedauer von 12 Stunden und mehr ein.

Ein durch Plusgläser induzierter myoper Defokus auf der Netzhaut hemmt das Augenlängenwachstum, während ein durch Minusgläser induzierter hyperoper Defokus (Fokus hinter der Netzhaut) das Wachstum fördert. Herkömmlichen Brillengläsern verschieben die „Fokusebene“ ferner Objekte beim myopen Auge zentral auf die Makula, in den perifovealen und peripheren Netzhautabschnitten liegt sie dann jedoch hinter der Netzhaut. Es entsteht so über einen großen Bereich ein hyperoper Defokus, was das Augenlängenwachstum anregen kann. Dagegen hemmt die gezielte myope Defokussierung gerade in der Netzhautperipherie das Augenlängenwachstum. Das funktioniert auch dann, wenn der myope Defokus mit dem scharfen Netzhautbild in der Makula kombiniert wird. Die gezielte myope Defokussierung in der peripheren Netzhaut kann so die Myopieprogression effektiv hemmen.

Das MiYOSMART Brillenglas arbeitet mit der D.I.M.S. Technologie. D.I.M.S. steht für “Defocus Incorporated Multiple Segments”. Es handelt sich um ein Einstärkenglas, dessen Vorderfläche hunderte kleine Segmente beinhaltet, die alle einen myopischen Defokus abbilden. 

Das Stellest Glas arbeitet mit einer Technologie namens H.A.L.T., was für „Highly Aspherical Lenslet Target“ steht. Hier handelt es sich um eine Konstellation asphärischer Mikrolinsen, die sich auf 11 Ringe verteilen. Die Leistung auf jedem Ring wurde so bestimmt, dass sie immer ein Signalvolumen garantiert, das vor der Netzhaut liegt und ihrer Form folgt.

Für das Myopie Management ist neben der Bestimmung der Refraktion unter Zykloplegie die genaue Messung der Achslänge wichtig. Anhand der Achslänge kann die Entwicklung einer Kurzsichtigkeit früh entdeckt werden – noch bevor eine messbare myope Refraktion vorliegt. Dabei ist sicherzustellen, dass eine Achsen- und keine reine Brechungsmyopie vorliegt. Nur bei der Achsenmyopie kann eine das übermäßige Augenlängenwachstum hemmende Therapie helfen. 

Eine umfangreiche Aufklärung der Eltern und Kinder über die Wirkung der getroffenen Maßnahmen gegen die Myopieprogression ist unerlässlich für Therapietreue und -erfolg. Dabei ist es essenziell, dass die Therapie konsequent durchgeführt wird, um den bestmöglichen Effekt zu erzielen. 

Für ein optimales Myopie Management ist ein ganzheitlicher Ansatz am besten, bei dem alle Beteiligten zusammenarbeiten. Nicht nur Optiker bzw. Optometristen und die Eltern, sondern auch die Augen- und Kinderärzte. Wenn sie Risikopatienten frühzeitig identifizieren und dann engmaschig und langfristig betreuen, kann es gelingen, den Kindern eine hohe Myopie zu ersparen.

Quellen/weitere Informationen:

DOG: Leichter Anstieg der kindlichen Kurzsichtigkeit flacht nach dem Lockdown wieder ab
DOG/BVA: Empfehlungen bei progredienter Myopie im Kindes- und Jugendalter
Myopietherapie und Prophylaxe mit „Defocus Incorporated Multiple Segments“-Brillengläsern
Homepage AIM-Studie zu niedrig dosiertem Atropin