Long COVID: Interdisziplinäre Studie unter Beteiligung von Augenärzten

Nach erfolgreichen Heilversuchen bei vier Patienten untersucht ein Team von Ärzten und Wissenschaftlern in einer Phase-IIa-Studie, ob der Wirkstoff BC 007 eine geeignete Therapie für Menschen mit Long-COVID ist. Auch Augenärzte sind an den Forschungen beteiligt.

©Unsplash
©Unsplash

Das Projekt reCOVer hat das Ziel, den Einfluss der krankheitsverursachenden funktionell aktiven Autoantikörper gegen G-protein gekoppelte Rezeptoren (GPCR-AAb) auf das Gefäßsystem bei Patienten mit Long-COVID zu untersuchen. Die Studie ist aufgebaut als Gemeinschaftsprojekt von Ärzten (Medizinische Klinik 1 – Gastroenterologie, Pneumologie und Endokrinologie und Augenklinik, Universitätsklinikum Erlangen) und Wissenschaftlern (Max-Planck-Institut Erlangen, Humboldt-Universität Berlin).

Eine generell im Körper eingeschränkte Mikrozirkulation ist als einer der Hauptauslöser der vielen bisher beschriebenen Long-COVID Symptomen durchaus denkbar. Eine neue Methode der Augenheilkunde (OCT-Angiographie) kann diese verminderte Durchblutung am Auge optisch darstellen und auch vermessen.

Erfolgreiche Heilversuche bei vier Patienten

Erste erfolgreiche Heilversuche an vier Patienten machen Hoffnung auf eine wirksame Behandlung für Menschen mit Long COVID. Die Phase IIa-Studie wird, aufbauend auf der laufenden reCOVer Studie (retina COVID-19 Erlangen) nun genauer untersuchen, ob der Wirkstoff BC 007, der diesen vier Patienten half, eine geeignete Therapie ist. Augenärzte des Universitätsklinikums in Erlangen sind als Mitglieder eines interdisziplinären Teams von Ärzten und Grundlagenwissenschaftlern maßgeblich an der Studie beteiligt. Zugleich entwickeln sie das Versorgungskonzept disCOVer mit. Es trägt mit einer gezielten Diagnostik dazu bei, dass jeder Patient die für ihn optimale Therapie bekommt.

Was ist Long COVID?

„Seit einem Jahr fühle ich mich wie ein Käfer, der auf dem Rücken liegt und kaum etwas tun kann.“ „Selbständiges Stehen und Laufen ist schon sehr lange nicht mehr möglich.“ „Ich bin aktuell bei meinen Eltern, da ich den Alltag nicht selber bewältigen kann.“ Was Menschen über noch Monate nach einer überstandenen COVID-19-Infektion anhaltende Symptome berichten, ist erschreckend.
Für Long COVID gibt es bisher noch keine einheitliche Definition. Allgemein werden damit gesundheitliche Langzeitfolgen nach einer SARS-CoV-2-Infektion beschrieben, die auch drei Monate nach der Infektion noch anhalten. Die Symptome können dabei unspezifisch und vielfältig sein. Erschöpfung, Geruchs- und Geschmacksstörungen, Atemnot und Kurzatmigkeit, Gedächtnisstörungen und Schlafstörungen sind häufige Long COVID-Beschwerden. Hier gibt es Ähnlichkeiten zur Myalgischen Enzephalomyelitis, die auch als Chronisches Fatigue-Syndrom (CFS) bekannt ist.

Große Zahl an Betroffenen

Hinweise darauf, wie viele Menschen von diesen Langzeitfolgen betroffen sind, gibt die Gutenberg COVID-19 Studie (1): 40 Prozent der Betroffenen bemerken auch noch lange nach der Infektion einzelne Symptome. Etwa jede dritte Person konnte die ursprüngliche Leistungsfähigkeit nicht wieder erlangen. Die Bundesregierung meldete am 20. Dezember 2021, dass sich seit Beginn der Pandemie in Deutschland 6.809.622 Menschen nachweislich mit dem Coronavirus infiziert haben. Am 21. Februar hatten sich bereits 13.636.993 Menschen infiziert (2) – die Omikron-Variante ließ die Fallzahlen schnell ansteigen. Da unter den Infizierten aber auch bereits geimpfte Personen sind, lässt sich nicht genau abschätzen, mit wie viel Betroffenen mit Long COVID gerechnet werden muss.

Was verursacht die Beschwerden bei Long COVID?

Bei manchen Patienten kommt es im Zuge der Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus zur Bildung von Autoantikörpern gegen G-Protein gekoppelte Rezeptoren. Zudem lässt sich beobachten, dass vergrößerte und deformierte Blutzellen die Mikrozirkulation behindern und so die langanhaltenden Beschwerden auslösen könnten. Als diagnostisches Fenster in den Körper erweist sich dabei die Mikrozirkulation in der Netzhaut des Auges: Mit dem Verfahren der OCT-Angiographie lässt sich die Durchblutung der feinen Gefäße im Auge bildlich darstellen. Zudem war aufgefallen: Bei Patienten, die eine SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht haben, lässt sich eine Korrelation zwischen einer verringerten retinalen Mikrozirkulation in der Netzhaut und der Schwere der Erkrankung feststellen.

Wie kam es zu dem ersten Behandlungsversuch?

Der Wirkstoff BC 007 wurde vor einigen Jahren für Patienten mit einer schweren Herzerkrankung in eine Zulassungsstudie gebracht. Er neutralisiert die schädlichen Autoantikörper gegen G-Protein-gekoppelte Rezeptoren. Solche Autoantikörper finden sich auch bei Glaukom-Patienten. Es ist bekannt, dass sie die Durchblutung des Auges beeinträchtigen können.

Ein 59-jähriger Glaukom-Patient, der nach überstandener Corona-Infektion über gravierende Langzeitfolgen klagte, war der erste Patient, bei dem der Heilversuch unternommen wurde. Er erhielt das Präparat bei einer 75-minütigen Infusion und blieb anschließend drei Tage lang zur Kontrolle im Krankenhaus. Schon innerhalb von wenigen Stunden zeigte sich eine Besserung. Der Patient erholte sich, die Konzentrationsstörungen schwanden, die Leistungsfähigkeit stieg an und der Geschmackssinn kehrte zurück. Die Durchblutung der Kapillaren zeigte sich deutlich verbessert. Die Autoantikörper waren erfreulicherweise nicht mehr nachweisbar.

Auf den ersten Heilversuch im Sommer folgten drei weitere, die ebenfalls erfolgreich verliefen. Besonders stark betroffen war eine 39-jährige Grundschullehrerin, die unter massiver Abgeschlagenheit, Gleichgewichts-, Koordinations-, Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen sowie an Geschmacksstörungen litt. Zeitweise Lähmungserscheinungen in einer Hand und in einem Fuß kamen dazu. Ihre neurologischen Symptome besserten sich aufgrund der Behandlung. Nun soll in Kürze die mit einer vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Studie die reCOVer Studie fortgeführt und zudem systematisch geprüft werden, ob und dank welcher Mechanismen BC 007 den Long-COVID Patientinnen und Patienten helfen kann. Die Studie wird vom BMBF mit 1,2 Millionen Euro unterstützt.

disCOVer: Genau untersuchen – zielgerichtet behandeln

Voraussetzung dafür, dass jede Patientin und jeder Patient die optimale Therapie erhält, ist eine genaue Diagnostik. disCOVer (Diagnosis COVID-19 Erlangen) kann die Basis für ein deutschlandweit einsetzbares Versorgungskonzept werden. Folgende Schritte umfasst das Konzept:

  • In einer Videosprechstunde werden Fragen zur Anamnese und zur Erschöpfungssymptomatik (CFS-Fragebogen) geklärt, weitere Tests wie etwa ein Konzentrationstest helfen, Personen mit Long COVID zu identifizieren.
  • Bei bestätigtem Long COVID Verdacht folgen weitere Untersuchungen: Mit der OCT-Angiographie wird die Mikrozirkulation der Netzhaut erfasst, es wird bestimmt, ob Autoantikörper vorhanden sind und wie die Blutzellen beschaffen sind. Die Aktivität der T-Zellen ist ein weiterer Befund, der erhoben wird. Hinzu kommen internistische Untersuchungen von der Herzechographie über einen Lungenfunktionstest, ein EKG bis hin zur Lungendiffusionsdiagnostik.
  • Je nach Befund folgen nun therapeutische Maßnahmen.
  • Liegen Organschäden vor, profitieren die Patienten von einer gezielten Rehabilitation.
  • Falls noch eine Aktivität der T-Zellen festgestellt wird, muss man davon ausgehen, dass im Körper noch geringe Virusmengen aktiv sind, die diese Immunaktivierung auslösen. In diesem Fall wird eine Booster-Impfung empfohlen, um dem Immunsystem zu helfen, die Viren auszulöschen.
  • Lassen sich Autoantikörper nachweisen, dann ist von einer viral induzierten Autoimmunreaktion auszugehen und es folgt
  • die Behandlung zur Neutralisierung der Autoantikörper mit beispielsweise BC 007.

Fazit

Long COVID bezeichnet langanhaltende Beschwerden nach einer Infektion mit dem SARS CoV-2-Virus. Es ist davon auszugehen, dass mindestens 30 Prozent der Betroffenen ihre ursprüngliche Leistungsfähigkeit nicht wieder erreichen. Eine fehlgeleitete Immunreaktion scheint bei einem Teil der Patienten die Beschwerden zu verursachen. In einer Phase IIa-Studie soll nun untersucht werden, ob ein Medikament, das Autoantikörper gegen G-Protein-gekoppelte Rezeptoren neutralisiert, Long COVID heilen kann. Mit einer genauen Diagnostik und einem strukturierten Versorgungskonzept soll allen Betroffenen der Weg zu der für sie optimalen Behandlung gebahnt werden.

PD Dr. Dr. Bettina Hohberger, Augenklinik der Universität Erlangen-Nürnberg

Informationen zu den aktuell laufenden Studien

Quelle: AAD

__________________________________________________________

Anmerkungen

(1) https://www.unimedizin-mainz.de/GCS/dashboard/#/app/pages/AktuelleErgebnisse/ergebnisselc

(2) https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/fallzahlen-coronavirus-1738210