Papierakte – doch die rechtssicherere Patientendokumentation vor Gericht?

Vorsicht bei der Wahl der Software für die Patientendokumentation. Die EDV-Systeme der Ärzte und ihre Dokumentationssoftware müssen erkennbar machen, wer, wann welche nachträgliche Änderung vorgenommen hat.

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Der Behandlungsvertrag in § 630a ff. BGB

Hintergrund

Im vorliegenden Fall hatte der Kläger plötzlich schwarze Flecken im linken Auge und begab sich bei der Beklagten in Behandlung. Die Beklagte diagnostizierte eine altersbedingte Glaskörpertrübung. Drei Monate später stellte ein Optiker während eines Sehtests fest, dass beim Kläger ein Netzhautriss vorliegt. Der Kläger suchte die Beklagte erneut auf und diese bestätigte fachärztlich die Netzhautablösung. Der Kläger wurde als Notfall in ein Krankenhaus eingewiesen. In Bremen wurde er letztendlich operiert. Der Kläger erblindete auch komplikationsbedingt auf dem linken Auge. 

Der Kläger wirft der Beklagten in den drei gerichtlichen Instanzen (Landgericht Aurich, Oberlandesgericht Oldenburg, Bundesgerichtshof) vor, dass bei seiner ersten Untersuchung der Netzhautriss übersehen wurde, da vor der Untersuchung keine Pupillenweitstellung veranlasst worden ist. Eine fachgerechte Untersuchung des Augenhintergrundes sei nicht möglich gewesen. Hiermit läge ein Befunderhebungsfehler vor.

Auch wirft der Kläger der Beklagten vor, dass keine Aufklärung auf eine erneute fachärztliche Kontrolle bei andauernden Beschwerden, spätestens aber nach einem Jahr vorlag. Die erforderliche Sicherungsaufklärung läge nicht vor.

Ergebnis

Der Kläger hatte in den beiden Vorinstanzen keinen Erfolg. Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 27. April 2021 (VI ZR 84/19) entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichtes die Revision zugelassen und sah die Revision des Klägers in Bezug auf den Befunderhebungsfehler als begründet an.

Die Entscheidung

Die Auffassung des Oberlandesgerichtes, dem Kläger stehe kein Schadenersatzanspruch wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung zu, ist erneut von diesem Gericht zu überprüfen. Denn die verneinende Auffassung, ein Befunderhebungsfehler läge nicht vor, ist erneut zu prüfen. 

Der Kläger konnte seine Behauptung, dass eine Untersuchung ohne vorherige Weitstellung der Pupillen nicht erfolgt sei, ist nicht beweisen. Der Aussage des Klägers steht zudem der Eintrag in die Dokumentationsakte des Beklagten, dass eine „Pup. in medikam. Mydriasis“ gegenüber. Die Beklagte führt zwar an, dass sie sich nicht an die einzelne Behandlung erinnern kann, aber der Dokumentation zu entnehmen sei, dass sie beidseitig die vorderen Augenabschnitte und den Augenhintergrund nach einer Weitstellung der Pupillen untersucht habe. Allerdings nutzte die Ärztin eine Software zur Dokumentation ihrer Behandlungen, die die Erkennung nachträglicher Änderungen nicht ermöglichte. Deswegen lag nach Auffassung des Gerichts eine „non liquet“-Situation (Patt-situation) zulasten des Klägers und seiner Frau vor. 

Was ist der Inhalt der Dokumentationspflicht aus § 630 f I BGB?

Auch wenn die Beklagte zur Erstellung der EDV-gestützten Dokumentation keine fälschungssichere Software verwendet hat, führt dies nicht dazu, dass der Dokumentation im Rahmen der Beweiswürdigkeit keine Bedeutung zukomme. Nach § 630f Abs. 1 BGB wird zwar die Verwendung einer fälschungssicheren Software verlangt, welche die ursprünglichen Einträge erhalte und gegen Änderungen sichtbar mache, aber die Verwendung einer nicht fälschungssicheren Software führe nicht zur Beweislastumkehr gemäß § 630h Abs. 3 BGB. 

Der BGH erläuterte, dass eine elektronische Dokumentation, die nachträgliche Änderungen nicht erkennbar macht, nicht den Anforderungen des § 630f Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB genügt. Nach diesen Bestimmungen sind Berichtigungen und Änderungen von Eintragungen in der Patientenakte nur zulässig, wenn neben dem ursprünglichen Inhalt erkennbar bleibt, wann sie vorgenommen worden sind und wer sie vorgenommen hat. 1

Auch komme der Dokumentation keine Indizwirkung zu, dass fingiert wird, die hier strittige Untersucher der Pupillenweitstellung wäre erfolgt. 

Der BGH führte dazu aus: "Eine Beweislastumkehr zugunsten des Patienten erfolge nämlich nur dann, wenn eine aus medizinischen Gründen dokumentationspflichtige Maßnahme nicht aufgezeichnet worden sei.“ 2 Tatsächlich wurde in der Behandlungsakte der Beklagten die Maßnahme mit der Noitz „Pup. In medikam. Mydriasis“ dokumentiert. Nur das Problem war, dass dieser Vermerk nicht mit einer fälschungssicheren Software durchgeführt worden ist. Greifbare Anhaltspunkte, dass der entsprechende Eintrag erst nachträglich erfolgt sein könnte, waren nicht ersichtlich. 

Kein Behandlungsfehler in unterbliebener Sicherungsaufklärung. 

Ebenso liegt auch kein Behandlungsfehler hinsichtlich einer unterlassenen Sicherungsaufklärung vor. Medizinisch war es eine Belehrung des Klägers geboten gewesen, bei Verschlechterung seiner Beschwerden bzw. nach Ablauf eines Jahres zur Kontrolle bei einem Augenarzt vorstellig zu werden. Eine unterbliebene Aufklärung wäre deshalb als grob behandlungsfehlerhaft einzuordnen. 

Es könnte der Beklagten aber nicht nachgewiesen werden, dass sie die gebotene Belehrung unterlassen habe. Beide Parteien haben sich in dem Sachverhalt widerspruchsfrei und inhaltlich nachvollziehbar geäußert. Es gab keine Gründe, einer der Schilderungen mehr zu glauben. Da eine solche hier zwischen den Parteien strittige Sicherungsaufklärung nicht aus medizinischen Gründen veranlasst wäre, kommt es zwischen den Parteien auch nicht zu einer Beweislastumkehr. Der Bundesgerichtshof kam zum Ergebnis, dass der Beklagten die streitige unterlassene dokumentierte therapeutische Information nicht als Behandlungsfehler vorzuwerfen ist. Er begründet es damit, dass bei der Pattsituation zwischen den Prozessparteien die Klägerpartei beweisbelastet wäre. Diesen positiven Beweis konnte die Klägerpartei nicht erbringen.

Daher kommt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts einer elektronischen Dokumentation, die nachträgliche Änderungen entgegen § 630f Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB nicht erkennbar macht, keine positive Indizwirkung dahingehend zu, dass die dokumentierte Maßnahme von dem Behandelnden tatsächlich getroffen worden ist. 

Was heißt dies für die Zukunft?

Elektronische Dokumente, also auch die elektronische Patientenakte sind gemäß § 371 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gegenstand des Augenscheinbeweises im Rahmen eines Arzthaftungsprozesses. Die in der Vergangenheit handschriftlich geführte Patientenakte war nach § 415 I ZPO eine Urkunde, wodurch sie vollen Beweiswert hatte.3 Bei herkömmlichen hand- oder maschinenschriftlichen Dokumentationen fielen nachträgliche Änderungen durch Streichung, Radierung, Einfügung oder Neufassung jedoch regelmäßig auf. Dagegen bietet die mithilfe einer – nachträgliche Änderung erkennbar machenden – Software geführte elektronische Dokumentation jedem Zugriffsberechtigten die Möglichkeit, den bisher aufgezeichneten Inhalt in kurzer Zeit, mit geringem Aufwand und fast ohne Entdeckungsrisiko nachträglich zu ändern. Die EDV-Systeme der Ärzte und ihre Dokumentationssoftware muss also wie ein „Lockbuch“ erkennbar machen, wer, wann welche nachträgliche Änderung vorgenommen hat.

Einer Dokumentation, die nachträglichen Änderungen nicht erkennbar macht, fehlt es gerade deshalb an Zuverlässigkeit, weil sie Veränderungen so zulässt, dass sie unbemerkt bleiben. Der Patient wird deshalb regelmäßig nicht in der Lage sein, Anhaltspunkte für eine – bewusste und versehentliche – nachträgliche Abänderung der elektronischen Dokumentation vorzutragen. 

Fazit

Für die Zukunft ist dem behandelnden Arzt damit auferlegt, eine Software zu verwenden, die nachträgliche Änderungen erkennbar auflistet, da ansonsten die Indizwirkung der Dokumentation, dass eine erforderliche medizinische Maßnahme tatsächlich vorgenommen wurde, fehlt. Der Einsatz von nachträglich änderbaren digitalen Dokumentationen für Ärzte ist zu einem Haftungsrisiko geworden, sofern diese unbemerkt geändert werden kann. Die Gefahr, für einen Behandlungsfehler haften zu müssen, erhöht sich dadurch im Gegensatz zu einer Papierakte, bei welcher Änderungen leicht nachvollziehbar sind, erheblich.

Rechtsanwalt Rüdiger Gedigk, Fachanwalt für Arbeits- und Medizinrecht, Hennef/Köln

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1 BGH VI ZR 84/19, 27.04.2021, Rn. 26.

 2 BGHVI ZR 84/19, 27.04.2021, Rn. 7.

 3 Enderle, Angelika, Elektronische Behandlungsdokumentation_21-09-21 am 26.12.2010, zuletzt aktualisiert am 25.02.2013.