„Die Patienten sind oft jung“ – Ein Interview mit Dr. Thien An Nguyen-Dang zur Zapfen-Stäbchen-Dystrophie

Dr. Thien An Nguyen-Dang ist Co-Autorin der neuen Broschüre zur Zapfen-Stäbchen-Dystrophie (ZSD) der PRO RETINA. Die Augenärztin in Weiterbildung ist ehrenamtlichen Mitarbeiterin bei der Selbsthilfeorganisation. Ein Interview über die Symptome und die schwierige Diagnose der seltenen Netzhauterkrankung.

© Dr. Thien An Nguyen-Dang
© Dr. Thien An Nguyen-Dang

Frau Dr. Nguyen-Dang, die Zapfen-Stäbchen-Dystrophie (ZSD) gehört zu den seltenen Netzhauterkrankungen. Wie kamen Sie dazu, dass Sie sich intensiver dieser Erkrankung beschäftigt haben?

Die Zapfen-Stäbchen-Dystrophie umfasst als Oberbegriff eine Gruppe unterschiedlicher erblicher Netzhauterkrankungen, bei welcher die Funktion der Photorezeptoren in der Netzhaut gestört ist. Mit einer Prävalenz von 1:40 000 gilt sie zwar als seltene Erkrankung; begegnet uns aber dennoch in der augenärztlichen Praxis. Ich habe mich vor allem im Rahmen meiner ehrenamtlichen Mitarbeit bei Pro Retina e.V. zur Patientenaufklärung mit der ZSD beschäftigt. 

Bei welcher Altersgruppe tritt die Zapfen-Stäbchen-Dystrophie (ZSD) am häufigsten auf?

Die ZSD tritt zumeist in den ersten beiden Lebensjahrzehnten auf. Jedoch sind die Verläufe sehr variabel, sodass eine Diagnosestellung auch erst nach dem 50. Lebensjahr erfolgen kann.

Mit welchen Symptomen kommen Menschen, die an einer ZSD erkrankt sind, zum Augenarzt?

Die Symptome und Verläufe der einzelnen Patienten sind sehr unterschiedlich. Einige Patienten kommen symptomfrei zum Augenarzt und die Diagnose ist ein Zufallsbefund. 
Klassischerweise kommt es aber zunächst zu einer Funktionsstörung der Zapfen. Diese liegen überwiegend in der Makula und sind vor allem für die Sehschärfe, das Farbsehen und das Sehen am Tag verantwortlich. Somit kann es zu einer verminderten Sehschärfe, einer erhöhten Blendempfindlichkeit und zu Farbsinnstörungen kommen.
Wenn die Krankheit voranschreitet und auch die Stäbchen betrifft, kann dies zu einer Störung des Nacht- und Dämmerungssehens und zu einer Einschränkung des peripheren Gesichtsfeldes führen.

Symptome wie Verschlechterung der Sehschärfe oder erhöhte Blendempfindlichkeit kennzeichnen auch andere Augenkrankheiten. Was sind die wichtigsten Hinweise, dass eine ZSD vorliegen könnte? 

Die ZSD ist eine Erkrankung des hinteren Augenabschnitts, also der Netzhaut. Somit ist der vordere Augenabschnitt mit Hornhaut und Linse, deren Veränderung ebenfalls zu einer Sehverschlechterung und erhöhter Blendempfindlichkeit führen können, in der Regel unauffällig. Zudem sind die Patienten oft jung. Eine familiäre Häufung kann ebenfalls einen Hinweis geben. Insgesamt ergibt sich die Diagnose aber erst aus der Anamnese, dem klinischen Befund und weiterer Diagnostik.

Wie wird die Erkrankung dann sicher diagnostiziert?

Die Diagnose erfolgt durch ein Zusammenspiel aus unterschiedlichen Diagnostikmethoden: Klinisch lassen sich bei weitgetropfter Pupille bei der Netzhautuntersuchung zentrale Netzhautveränderungen darstellen. Mittels bildgebender Verfahren wie der Fundusautofluoreszenz, kann die Funktionalität des retinalen Pigmentepithels beurteilt werden; dieses ist eine für die Versorgung der Zapfen und Stäbchen wichtige Zellschicht. Netzhautveränderungen können oftmals auch dann festgestellt werden, wenn die klinische Untersuchung noch unauffällig ist. Sehr hilfreich können die optische Kohärenztomographie (OCT) sowie das Elektroretinogramm sein. Die molekulargenetische Untersuchung kann letztlich die Diagnose sichern. 

Gibt es Therapiemöglichkeiten?

Aktuell bestehen keine zugelassenen Therapieoptionen, die die Entwicklung oder das Voranschreiten der Erkrankung aufhalten. Der Fokus liegt auf der Behandlung von Begleiterkrankungen und auf dem optimalen refraktiven Ausgleich der Patienten, um ihnen das bestmöglichste Sehen zu ermöglichen. Symptome wie eine erhöhte Blendempfindlichkeit können beispielsweise mit einem höheren Schutzfilter in der Brille gelindert werden.

Wie sieht es in Sachen Gentherapie aus? Gibt es aktuelle Studien und eventuell schon erste Ergebnisse?

Eine zugelassene Gentherapie für die ZSD gibt es zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Es gibt diverse noch experimentelle Versuche der Gentherapie, die aber noch in klinischen Studien geprüft werden. Eine konkrete Aussage zu einem potentiellen Erfolg ist aktuell noch nicht möglich.

Welche Gene sind mit der ZSD assoziiert? Das ABCA4-Gen spielt bei der Verursachung der Erkrankung ja eine besonders wichtige Rolle.

Aktuell sind über 30 Gene mit der nicht-syndromalen ZSD assoziiert; also der ZSD ohne weitere systemische Erkrankungen. Die Vererbung erfolgt meistens autosomal-rezessiv, aber alle Erbgänge sind möglich. Das ABCA-4 Gen ist sowohl mit der ZSD, als auch mit dem Morbus Stargardt, der häufigsten erblichen Makuladystrophie, assoziiert. Seine Mutation führt zu einer Störung des Vitamin-A-Stoffwechels mit Anhäufung von toxischen Abbauprodukten in retinalem Pigmentepithel und Photorezeptoren. Hier zeigt sich die Überlappungstendenz zwischen den einzelnen erblichen Netzhauterkrankungen.
Ebenso gilt, dass zwar eine molekulargenetische Diagnostik bei Verdacht auf ZSD zur Diagnosebestätigung und im Hinblick auf mögliche Beratung anderer Familienmitglieder und potentieller Familienplanung empfohlen ist, aber dennoch eine krankheitsverursachende Mutation trotz steigender Anzahlen detektierter ZSD-assoziierter Gene nicht immer gefunden werden kann. 

Die Info-Broschüre zur Zapfen-Stäbchen-Dystrophie (ZSD) kann bei PRO RETINA kostenfrei bestellt werden.